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Happy Birthday AGG: Kinderkrankheiten, Rechtsunsicherheit und Bürokratie im e-Recruiting

[Crosswater Systems] 2. August 2007

Als im August vorigen Jahres das Allgemeine Gleichbehandlungs-Gesetz (AGG) vom Bundestag beschlossen wurde, ging diesem Gesetzgebungsverfahren ein Hype ungeahnten Ausmaßes voran. Trotz dem im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz, trotz einschlägiger Bestimmungen im Kündigungsschutzgesetz und in diversen EU-weiten Regelungen fanden die Befürworter des AGG genügend Gründe, bisher fehlende Regelungen im neuen AGG zu verankern. Denn nicht weniger als die Zukunft des Abendlandes und die Errungenschaften der Französischen Revolution von 1789 mit ihrem Postulat „Liberté, Égalité, Fraternité“ standen auf dem Spiel – oder zumindest wurde dieser Eindruck erweckt.

Doch dann schlichen sich handwerkliche Mängel in den Gesetzestext ein und Nachbesserungen wurden notwendig. Wie zu erwarten, wurden Horror-Szenarien der neuen Gesetzgebung an die Wand projiziert, von AGG-Hoppern und Schmarotzern des neuen Gesetzes war die Rede und mancher Personaler hatte schlaflose Nächte, wenn er an die betrieblichen Umsetzungsmaßnahmen dachte. Für Personalberater tat sich über Nacht ein neues Geschäftsfeld der AGG-Beratung auf, Checklisten wurden für gutes Geld am Markt angeboten und manches Seminar zum AGG wurde veranstaltet.

Die Verunsicherung war groß, gab es doch noch keine einschlägigen Richtersprüche zu AGG induzierten Klagen. Nach knapp einem Jahr Praxiserprobung ist es an der Zeit, den Stand der Dinge zu klären. In einem exklusiven Interview mit der Redaktion von Crosswater Systems steht Frau Dr. Susanne Stollhoff, Corporate Legal Counsel beim internationalen Karriereportal StepStone Rede und Antwort zur aktuellen Lage des AGG.

Crosswater Systems: War das AGG angesichts der bestehenden Rechtssprechung (Grundgesetz, Kündigungsschutzgesetz, EU-Recht) überhaupt notwendig, was hat das AGG präziser, verbindlicher und klarer geregelt als die damals bestehenden Gesetze?

Dr. Susanne Stollhoff, StepStone

Dr. Susanne Stollhoff.
Nach dem Studium an der Universität Bayreuth und an der Sorbonne in Paris war Stollhoff als Anwältin bei der Kanzlei Clifford Chance tätig. Heute ist sie beim Karriereportal StepStone ASA als Corporate Legal Counsel für alle Rechtsfragen verantwortlich.

Stollhoff:  Grundsätzlich besteht schon eine gewisse Notwendigkeit den Gleichheitsgedanken auch in das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu tragen. Die bestehende Gesetzgebung regelte dieses nur partiell: Das Grundgesetz klärt diese Beziehung nicht, der Kündigungsschutz gilt lediglich für das Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Das EU-Recht schafft nur den Rahmen für die nationale Gesetzgebung.

Auf nationaler Ebene gab es zwar Einzelregelungen – zum Beispiel im BGB für die Gleichstellung von Mann und Frau. Auch hat die Rechtssprechung umfangreiche Grundsätze entwickelt. Das AGG war allerdings das erste nationale Gesetz mit dem Anspruch, das Thema Gleichbehandlung im Zivilrecht und Arbeitsrecht umfassend zu regeln. Allerdings ist auch klar: Das AGG ist keine ausreichende Lösung in diesem Kontext. Es ist nicht präzise und lässt insgesamt zu viel Raum für Einzelrechtsprechung.

Crosswater Systems: Welche wegweisenden Gerichtsurteile sind mittlerweile gefällt worden, um die Praxistauglichkeit des AGG zu untermauern? Welche Grauzonen bestehen noch heute?

Stollhoff: Es gibt bisher wenige Präzedenzfälle. In einem wurde kürzlich entschieden: Drei Lufthansa-Piloten hatten geklagt, dass sie aufgrund einer tariflichen Altersbefristungsregel schon mit 60 aufhören sollten zu fliegen. Ein Verstoß gegen das AGG wurde hier verneint. In einem zweiten Fall klagte eine Stewardess erfolgreich eine Entschädigung ein, weil ihr die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis aus Altersgründen verweigert worden war.

Die befürchtete Flut an Massenklagen ist bisher ausgeblieben. Das ist im Prinzip natürlich gut. Es führt aber auch dazu, dass wir in der Auslegung des AGG nicht viel weiter sind und es in der Tat zahlreiche Grauzonen in nahezu allen Bereichen gibt. Die Folge ist eine relativ hohe Rechtsunsicherheit.

Crosswater Systems: Das AGG hat auch seine Spuren im Recruiting hinterlassen. Worauf sollten Personaler achten, wenn sie den Bewerberprozess AGG konform gestalten müssen?

Stollhoff: Das AGG verbietet grundsätzlich die Benachteiligung aufgrund der im Gesetz definierten Diskriminierungsmerkmale. Diese Merkmale sind Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität sowie im Arbeitsrecht: Weltanschauung. Es sei denn, Ausnahmen bzw. Rechtfertigungsgründe greifen. Beschäftigte dürfen nicht wegen der genannten Merkmale unzulässig benachteiligt werden. Für den Personaler bedeutet dies, dass er primär auf neutral verfasste Stellenanzeigen, AGG-konforme Bewerberverfahren, lückenlose Dokumentation des Bewerbungsverfahrens sowie auf AGG-konforme Formulierungen der Absageschreiben achten sollte.

Crosswater Systems: Die beliebte Tradition, aussagekräftige Bewerbungsunterlagen mit lückenlosem Lebenslauf und Lichtbild zu verlangen, ist mit den Vorschriften des AGG zu Grabe getragen worden. Sollten Bewerber beispielsweise darauf verzichten, Lichtbilder beizufügen, darf der Arbeitgeber dies bei Stellenanzeigen und den geforderten Bewerbungsunterlagen verlangen?

Stollhoff: Letztlich liegt die Entscheidung, wie eine Bewerbung aussieht, beim Bewerber selbst. Er selbst schätzt ein, welche Form der Bewerbung die größten Jobchancen birgt. Aufgrund der genannten „beliebten Tradition“ ist ein Lichtbild wohl immer noch ratsam – auch wenn es nicht ausdrücklich mit angefordert wird. Aus Unternehmenssicht gilt: Alles was initiativ an die Unternehmen versandt wird, kann diesen nicht angelastet werden. Aber auch hier existiert Rechtsunsicherheit. Denn inwieweit Lichtbild und Lebenslauf weiter angefordert werden dürfen, ist noch nicht abschließend geklärt. Das zeigt, dass wir hier in Deutschland relativ weit hinterher hinken. In Großbritannien ist ein Bewerbungsfoto schon seit zwanzig Jahren nicht mehr üblich.

Crosswater Systems: Stellenangebot, Bewerbung, Absageschreiben: Was ist zusammenfassend nicht mehr erlaubt?

Stollhoff: In der Stellenausschreibung muss in erster Linie auf die Formulierung geachtet werden. Die muss in der Regel neutral verfasst sein. Auch hinsichtlich des Absageschreibens ist bei der Formulierung Vorsicht geboten. Es sollte kurz sein und keine Gründe für die Absage enthalten. Im Rahmen der Bewerbung gilt wie gesagt: Der Bewerber darf und sollte sich so bewerben, wie er das für richtig hält. Er kann also auch Unterlagen beifügen, die nicht angefordert wurden.

Crosswater Systems: Professor Dr. Armin Trost (FH Furtwangen) hat sich zu den Auswirkungen des AGG auf den Bewerberprozess geäußert: „Der Bewerberprozess mündet in einem Albtraum, wenn Arbeitgeber den Entscheidungsprozeß nicht durch eine e-Recruiting-Lösung dokumentieren und nachweisen können“. StepStone bietet auch eine Reihe von e-Recruiting-Lösungen an, welche Änderungen hinsichtlich der AGG-Vorschriften wurden vorgenommen?

Stollhoff: Wir haben darauf geachtet, dass unsere Kunden mit unseren e-Recruiting-Lösungen jederzeit auf der sicheren Seite stehen und nach der Einführung des AGG entsprechende Anpassungen vorgenommen. So sind beispielsweise Geschlechts- und Altersangaben im System als Pflichtfeld gelöscht worden. Außerdem erlauben wir die Löschung oder Änderung von Bewerberdaten durch den Bewerber nicht mehr jederzeit, sondern tragen den Fristen aus dem AGG durch eine entsprechende „Freeze-Function“ Rechnung.

Schon die Bewerbervorauswahl im Online-Verfahren stützt sich auf rein sachliche Kriterien, wie notwendige Software- oder Sprachkenntnisse, Berufs- und Branchenerfahrung oder Examensnoten. Basierend auf diesen Daten und dem vorher erstellten Anforderungsprofil wird eine objektive Vorauswahl der besten Bewerber erstellt, die im System dokumentiert wird. Darauf kann sich das Unternehmen im Streitfall berufen. Zudem lassen sich im System auch Vorlagen für AGG-sichere Stellenanzeigen und die Bewerberkommunikation hinterlegen. Es gibt Workflow-Prozesse, die zum Beispiel eine einfache Einbindung eines AGG-Beauftragten ermöglichen.

Crosswater Systems: Als europäisches Karriere-Portal gehören die Publikation von Stellenausschreibungen und das Prozessmanagement im e-Recruiting zu den Kernaufgaben von StepStone. Was hat StepStone zur Klärung und Beratung der AGG-Anforderungen beigetragen, was kann ein Arbeitgeber von StepStone diesbezüglich erwarten?

Stollhoff: Wir laden unsere Partner und Kunden zu regelmäßigen AGG-Workshops ein, wo unabhängige Experten Rede und Antwort zu allen rechtlichen Aspekten der neuen Gesetzgebung stehen.  Im weiteren schulen wir natürlich auch intern unsere Mitarbeiter, damit diese unseren Kunden Hilfestellungen bei der Erstellung von Anzeigen geben können. Das trägt bereits Früchte und ist ein Service, der uns von unseren Wettbewerbern unterscheidet.

Wir setzen klar auf einen am Kunden orientierten Service. So schicken wir bisweilen einen nicht AGG-konformen Anzeigentext mit Verbesserungsvorschlägen an einen Kunden zurück mit der Bitte diesen noch einmal zu überarbeiten. Auf unserer Internetseite bieten wir eine eigene AGG-Seite mit vielen Tipps und Informationen zum Thema.

Crosswater Systems: Angesichts des Fachkräftemangels gewinnt das internationale Recruiting für viele Firmen an Bedeutung. Was muss ein Personalentscheider bei den Gleichstellungsgrundsätzen beachten wenn er den Personaleinstellungsprozess über die Landesgrenzen hinaus betreibt? Welche Unterschiede bestehen beispielsweise in anderen europäischen Ländern?

Stollhoff: Grundsätzlich sind die europäischen Richtlinien in den meisten EU-Ländern angekommen. Ausnahmen bestätigen die Regel: In Schweden ist beispielsweise die Richtlinie hinsichtlich der Diskriminierung des Alters noch nicht umgesetzt. Andere europäische Länder gehen dagegen über bestehende Richtlinien hinaus. Hier ist natürlich Deutschland zu nennen – aber auch Irland, wo die Gesetze zur Altersdiskriminierung schon seit 1998 wirksam sind. Altersdiskriminierung beschäftigt dort häufig die Gerichte mit zum Teil sehr weitgehenden Ergebnissen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass EU-Richtlinien überall gleich umgesetzt werden. Trotzdem müssen lokale Unterschiede in der Gesetzgebung beachtet werden – gerade für international agierende Jobboards ergeben sich dadurch Schwierigkeiten, dass durch die nationalen Unterschiede keine standardisierten, Anzeigenformate angeboten werden können.

Crosswater Systems: StepStone hat jüngst eine Umfrage zum Thema AGG durchgeführt. Was waren die wichtigsten Ergebnisse? Welche Ergebnisse waren erwartet, welche waren für Sie überraschend?

Stollhoff: Das AGG ist nun seit fast einem Jahr wirksam. Aus diesem Anlass haben wir über 800 Personalmanager zu ihrer Einschätzung befragt. Die Ergebnisse zeigen: Das AGG ist ein ungeliebtes Gesetz. 69,4 Prozent der Befragten halten das Gesetz für sinnlos. Nur 15,4 Prozent finden es sinnvoll. Außerdem behaupten 64 Prozent, dass sich ihr Arbeitsalltag durch das AGG nicht verändert hat.

Den größten Hemmschuh im Umgang mit dem Gesetz sehen die meisten in der unsicheren Rechtslage. Diese Einschätzung teilen mehr als zwei Drittel (67,1 Prozent) der Personalmanager. Das spricht für ein deutliches Informationsdefizit. Weitere Schwierigkeiten aus Sicht der Personalmanager sind die Änderungen hinsichtlich der Aufbewahrung von Bewerberdaten (35 Prozent) sowie die veränderten Regeln zur korrekten Erstellung von Stellenanzeigen (31 Prozent).
Die Befragung zeigt deutlich: Es bestehen deutliche Unsicherheiten im Umgang mit dem AGG und es fehlt an Akzeptanz. Das war zwar zu erwarten – in der Deutlichkeit aber dann doch überraschend.

 




Crosswater Systems: Das neue AGG bringt nicht nur Licht, sondern wirft auch einige Schatten. Welche Nachteile ergeben sich für den Personaler, welche für den Bewerber? Wo besteht noch Handlungs- und Klärungsbedarf?

Stollhoff: Die Nachteile überwiegen bisher leider. Sie liegen in der weiteren Bürokratisierung der Bewerberprozesse sowie in der bestehenden Rechtsunsicherheit. Außerdem wird aus meiner Sicht auch der Bewerber benachteiligt. Er bewirbt sich aufgrund neutraler Ausschreibungen nun auch auf Stellen, für die er eigentlich von vorne herein gar nicht in Frage kommt.
 

Vorteile sind schwer erkennbar. Natürlich ist die Absicht einer absoluten Gleichbehandlung ein gutes und edles Motiv. Der Gedanke der Gleichheit treibt die Menschheit schließlich spätestens seit der französischen Revolution an. Allerdings hat das AGG bisher eher für Unsicherheit gesorgt als für mehr Gerechtigkeit und das ist sicher nicht im Sinne des Erfinders.

Crosswater Systems: Vielen Dank Frau Dr. Stollhoff für dieses Interview.

Über StepStone Deutschland AG
1996 in Norwegen gegründet, ist StepStone heute eines der erfolgreichsten e-Recruitment-Unternehmen Europas. In Deutschland ist StepStone mit über 3,6 Millionen Besuchen monatlich der am stärksten wachsende Online-Stellenmarkt. Dabei liegt der Fokus stets auf einer an optimalem Service und bester Qualität orientierten Dienstleistung. Renommierte Kunden wie Robert Bosch, ThyssenKrupp, die Deutsche Telekom oder Siemens nutzen www.stepstone.de  erfolgreich zur Rekrutierung qualifizierter Fach- und Führungskräfte. Durch das internationale StepStone „Network“ ist es ihnen zudem möglich, in weltweit 60 Ländern neue Mitarbeiter zu finden.
Der Geschäftsbereich StepStone Solutions stellt Unternehmen softwarebasierte Lösungen und innovative Technologien für eine effektive Personalarbeit zur Verfügung. Zu den mehr als 600 Kunden, die weltweit auf die Software-Lösungen von StepStone vertrauen, gehören unter anderem Aral, Deloitte, die Europäische Zentralbank, McDonald’s und Recaro Aircraft Seatings. StepStone ist der einzige europäische Anbieter, der im letzten Gartner Report (Magic Quadrant for E-Recruitment Software, 2006) als ‚leader’ bewertet wurde.

Seit Ende 2004 ist die Axel Springer AG mit 49,9 Prozent an der StepStone Deutschland AG beteiligt. In Zusammenarbeit mit den Tageszeitungen DIE WELT, HAMBURGER ABENDBLATT und BERLINER MORGENPOST sowie der Wirtschaftszeitung EURO am Sonntag bietet StepStone leistungsfähige Online/Print-Kombiprodukte für noch mehr Reichweite und Qualität.
 

Weiterführende Links:

Das AGG: Einführung, Praxistipps und Hintergrundinformationen
http://www.stepstone.de/ueberuns/default.cfm?link=agg

D.A.D.V. Deutscher Antidiskriminierungsverband
http://www.dadv.de/index.html

Das AGG in der Praxis – Erste Erfahrungen. Ein Gastbeitrag von Dr. Susanne Stollhoff, Group Legal Director, StepStone
http://www.crosswater-systems.com/ej_news_2006_10_22_agg_stollhoff.htm

StepStone Kariereportal
www.stepstone.de

Wikipedia: Das Allgemeine Gleichbehandlungs-Gesetz
http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Gleichbehandlungsgesetz

+++ Ein Presse-Service von Crosswater Systems Ltd. zu den Themengebieten e-Recruiting, Jobbörsen, Arbeitsmarkt, Personaldienstleistungen, Human Resources Management. Die in den Firmen-Pressemitteilungen vertretenen Meinungen müssen nicht notwendigerweise mit der Redaktion von Crosswater Systems übereinstimmen +++
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