Das
Gesetz ist neu und enthält viele auslegungsbedürftige
Begriffe, gleichzeitig gibt es aber erst relativ wenig
vergleichbare Fälle aus der Rechtsprechung, die bei der
Interpretation herangezogen werden könnten.
Zwar ist die
geschlechtsneutrale Ausschreibung schon seit längerem im
Gesetz verankert, und auch die Regelungen zu Behinderung
und Schwerbehinderung (§§2, 81 SGB IX) und ihre
Auswirkungen auf die Personalsuche sind bekannt.
Besonders viel gestritten wurde um diese Fallgruppen in
der Vergangenheit jedoch nicht.
Deshalb
herrscht bei der Auslegung des AGG große Unsicherheit.
In der Literatur zum AGG finden sich die
unterschiedlichsten Ansichten: Während die einen ein
völliges Umdenken postulieren, und beispielsweise
fordern, dass Bewerbungsgespräche künftig nicht mehr an
religiösen Feiertagen stattfinden sollen, meinen andere,
die praktischen Auswirkungen des AGG beschränkten sich
mehr oder weniger auf den Verzicht auf Ausdrücke wie
„jung und dynamisch“ in der Stellenanzeige.
Ähnlich
kontrovers reagieren die Kunden von StepStone. Zum Teil
haben sie ein HR - Audit bereits im Frühjahr hinter sich
gebracht, im Juli sämtliche Mitarbeiter auf das Gesetz
geschult und pünktlich zum ersten August ihre
Rückstellungen um eventuelle Schadensersatzforderungen
aus AGG - Klagen aufgestockt. Auch Panikattacken in
Hinblick auf mögliche Massenabmahnungen blieben nicht
aus.
Andere
reagieren noch heute überrascht, wenn sie auf
fehlerhafte Stellenanzeigen hingewiesen werden. Das AGG
ist noch nicht in ihrem Bewusstsein verankert oder sie
gehören zu der Fraktion, die glaubt, es ändere sich doch
nichts. Sicherlich ist es zu früh, um die tatsächlichen
Auswirkungen des AGG auf die Personalsuche zutreffend
und umfassend würdigen zu können. Noch gibt es kaum
Urteile, noch gibt es keine „herrschende Meinung“, im
juristischen Blätterwald wird derzeit ungestraft alles
vertreten.
Der
folgende Beitrag erhebt nicht den Anspruch, diese Lücke
zu füllen. Er möchte lediglich eine Hilfestellung geben,
indem er den derzeitigen Diskussionsstand zusammenfasst,
angereichert um das eine oder andere Erlebnis aus der
Praxis sowie gewisse Erfahrungswerte, die sich im
Gespräch oder in der Zusammenarbeit mit Kunden für die
Gestaltung der Stellenanzeigen ergeben haben.
Dabei
werden persönliche Ansichten zurückgestellt und
vorsichtshalber auch möglicherweise unbedenkliche
Formulierungen angesprochen. Denn so lange ein Gericht
nicht entschieden hat, dass die eine oder andere
Formulierung tatsächlich unbedenklich ist, gilt am
besten das Prinzip Vorsicht.
Einführung
Für
diejenigen, die sich mit dem Thema AGG noch nicht oder
nur wenig auseinander gesetzt haben, werden im folgenden
ein paar wichtige Grundprinzipien erläutert.
Das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist kein Allgemeines
Mobbing-Gesetz. Es gebietet - entgegen seines Namens –
keineswegs, alle Menschen gleich zu behandeln. Vielmehr
wird im § 1 AGG an bestimmte Merkmale angeknüpft. Das
Gesetz verbietet also grundsätzlich die Benachteiligung
aufgrund der dort definierten Diskriminierungsmerkmale,
es sei denn, es greifen Ausnahmen bzw.
Rechtfertigungsgründe.
Diese
Diskriminierungsmerkmale sind Rasse, ethnische Herkunft,
Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle
Identität; im Arbeitsrecht: Weltanschauung.
Kernaussage des AGG ist, dass Beschäftigte nicht wegen
der genannten Merkmale unzulässig benachteilig werden
dürfen (§ 7 AGG). Die Benachteiligung ist in § 3 AGG
definiert.
Die
unmittelbare Benachteiligung ist stets verboten, es sei
denn es greifen bestimmte Ausnahmen oder
Rechtfertigungsgründe.
Die
mittelbare Benachteiligung ist dagegen nicht verboten,
wenn das damit zu erreichende rechtmäßige Ziel sachlich
gerechtfertigt ist und die Mittel angemessen und
erforderlich sind.
Was ist
die mittelbare Benachteiligung? Eine mittelbare
Benachteiligung liegt vor, wenn an und für sich neutrale
Anknüpfungspunkte de facto ein bestimmte Gruppe
besonders treffen.
Beispiele:
·
Eine Prämie wird ausgeschrieben, jedoch
nicht für Beschäftigte, die sich gerade in Elternzeit
befinden. Die meisten Personen, die sich in Elternzeit
befinden, sind weiblich (Benachteiligung wegen
Geschlecht).
·
Wer auf einem Betriebssportfest eine
bestimmte sportliche Leistung schafft, bekommt eine
Prämie. De facto sind 90 %, die dies erreichen, männlich
(Benachteiligung wegen Geschlecht).
·
Eine Ausschreibung bestimmt, dass die
Muttersprache der Bewerber deutsch sein soll. Die
ausgeschriebene Stelle betrifft eine Reinigungsfachkraft
(Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft).
·
Uneingeschränkte, körperliche
Belastbarkeit (Benachteiligung wegen Behinderung).
·
Geglättetes Haar (Benachteiligung wegen
ethnischer Herkunft).
·
Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten
(Benachteiligung wegen Geschlecht).
·
Ununterbrochene Beschäftigung für
Beförderung erforderlich (Benachteiligung wegen
Geschlecht).
Das
Schaubild erläutert den Unterschied in der Behandlung
der unmittelbaren bzw. mittelbaren Benachteiligung. Die
mittelbare Benachteiligung kann zulässig sein, wenn das
damit verfolgte rechtmäßige Ziel sachlich gerechtfertigt
ist und die Mittel angemessen und erforderlich sind.
Sind sie dies nicht, so bleibt nur noch der Rückgriff
auf die §§ 5,8,9 und 10. Bei der unmittelbaren
Benachteiligung wird sofort auf die §§ 5,8,9 und 10
zurückgegriffen. Die Zweckmäßigkeitsprüfung entfällt.
Ausnahmen
Steht
eine grundsätzlich unzulässige mittelbare oder eine
unmittelbare Benachteiligung fest, so können die §§ 8-10
AGG oder § 5 AGG (positive Diskriminierung) bestimmen,
dass die Benachteiligung im Einzelfall dennoch zulässig
ist.
§ 8
betrifft die berufliche Anforderung. Ist eine
Eigenschaft nicht nur zweckmäßig sondern für eine
bestimmte Position unabdingbar, so kann eine
Benachteiligung im Einzelfall dennoch zulässig sein.
Beispiel: Gesucht wird ein Model für Damenunterwäsche.
Es sollte weiblich sein.
§ 9
betrifft Religion und Weltanschauung. Beispiel:
Die katholische Kirche sucht einen Pastor. Er sollte
katholisch sein.
§ 10
betrifft das Höchst- oder Mindestalter. Bestimmte
altersbedingte Benachteiligungen sind zulässig.
Interessant für die Stellenanzeige sind insbesondere die
Nr.2 (Mindestanforderungen an Alter, Berufserfahrung,
Dienstalter) und die Nr.3 (Festsetzung eines
Höchstalters). Geprüft werden muss aber immer auch, ob
die unterschiedliche Behandlung wegen Alters objektiv
und angemessen und durch ein legitimes Ziel
gerechtfertigt ist, bzw. ob die Mittel zur Erreichung
dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, §§ 10 S.1
und 2. Dies wird bei der Anknüpfung an die
Berufserfahrung oft leichter zu bejahen sein als bei der
Anknüpfung an das Lebensalter.
§ 5
betrifft positive Maßnahmen. Beispiel: Eine
Frauenquote oder Schwerbehindertenquote können jeweils
zulässig sein.
Die Stellenanzeige
§ 11 AGG
regelt ausdrücklich, wie eine Stellenanzeige aussehen
muss. Nach dem Gesetzeswortlaut darf ein Arbeitsplatz
„nicht unter Verstoß geben § 7 ausgeschrieben werden“. §
7 AGG verweist wiederum auf § 1 und sagt dazu, dass
Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes
benachteiligt werden dürften. Die Schleife zu § 1 führt
uns wieder auf die Diskriminierungsmerkmale. Aus § 6 AGG
wird deutlich, dass zu den Beschäftigten auch
Bewerberinnen und Bewerber gehören.
Zusammengefasst heißt das:
Stellenanzeigen müssen in der Regel neutral gefasst
sein. Ausnahmen ergeben sich aus den oben genannten
Fallgruppen.
Das im
einzelnen auslegungsbedürftige und von der
Rechtssprechung zu konkretisierende Regel-Ausnahmenwerk
wird im folgenden anhand konkreter Beispiele dargelegt.
Höchst- oder
Mindestalter
Die
Floskel „jung und dynamisch“ ist der Klassiker in der
Diskussion um das AGG. Sie sollte künftig nicht mehr in
Stellenanzeigen verwendet werden.
Daher ist es derzeit ratsam, dies sowohl für das
Anforderungsprofil des Bewerbers („Sie sind“ – Satz) als
auch für die Beschreibung des eigenen Unternehmens zu
beachten („Wir sind“ - Satz). Die Argumentation, dass
man mit der Selbstbeschreibung „wir sind ein junges und
dynamisches Team“ ja noch nicht gleiches vom Bewerber
verlange, mag einen Richter überzeugen, sicher ist das
jedoch nicht. Die Gegenargumentation ist einfach: Mit
der Beschreibung der derzeitigen Zusammensetzung des
Unternehmens wird implizit schließlich angedeutet, wie
sich das Unternehmen auch künftig seine Teammitglieder
vorstellt.
Ob nur das „jung“ eine Altersdiskriminierung darstellt,
oder auch das „dynamisch“ unzulässig ist, bleibt unklar.
Man kann zwar argumentieren, dass Dynamik
persönlichkeits- und nicht altersbezogen ist. So manch
ein rüstiger Rentner kann es in Sachen Dynamik
sicherlich leicht mit einer zwanzigjährigen
„Schlaftablette“ aufnehmen. Dennoch wird derzeit auch
anderes vertreten. Daher bitte Vorsicht nicht nur bei
„jung“, sondern auch bei der Verwendung von „dynamisch“.
Bezugnahmen auf Höchst- oder Mindestalter sind im
Einzelfall zulässig, wenn die Ausnahmetatbestände in §§
10 S.3 Nr.2 und 3 bzw. § 8 gegeben sind. Zusätzlich muss
geprüft werden, ob die unterschiedliche Behandlung wegen
des Alters objektiv und angemessen und durch ein
legitimes Ziel gerechtfertigt ist, sowie ob die Mittel
zur Erreichung des Ziel angemessen und erforderlich sind
(§ 10 S.1,2).
Höchst- oder Mindestalter sollten nur nach Prüfung in
die Stellenanzeige aufgenommen werden. Siehe § 10 AGG.
Berufserfahrung
Das
Fordern von Berufserfahrung regelt § 10 S.3 Nr.2, zweite
Alternative. Während auch die Ansicht vertreten wird,
dass Anforderungen an die Berufserfahrung per se immer
zulässig sind, da es sich hier um einen gesetzlichen
Ausnahmetatbestand handele, ist Vorsicht ratsam. Wegen
des Zusammenhang zu § 10 Satz 1 und 2 sollte eine
Begründung, warum Berufserfahrung für eine bestimmte
Position erforderlich sei, stets vorgehalten werden.
Praxistipp: Viele Firmen
verzichten vorsichtshalber auf Zahlenangaben in
Zusammenhang mit der Berufserfahrung. So wird nur noch
pauschal „Berufserfahrung“ verlangt, statt wie bisher
eine 2jährige oder
5jährige Berufserfahrung. Denn je konkreter die
Anforderung, desto schwerer wird diese nachzuweisen
sein.
Weitergehend dürfte in Zukunft jedenfalls unzulässig
sein, etwa eine 3-5jährige Berufserfahrung
auszuschreiben. Denn die Berufserfahrung ist als
Ausnahmetatbestand nur für das Mindestalter (§10 S.3
Nr.2), nicht jedoch für die Begründung eines
Höchstalters (§10 S.3 Nr.3) tauglich. Mit der
Formulierung 3-5jährige Berufserfahrung wird dagegen
indiziert, an 6-10jähriger Berufserfahrung bestehe kein
Interesse.
Praxistipp: Zulässig ist
wohl jeweils die Forderung nach einer „für die Position
angemessenen Berufserfahrung“.
Erfahrener alter Hase
Auf die
Suche nach den „erfahrenen alten Hasen“ sollte man
künftig verzichten. Es handelt sich um das Pendant zum
jungen Dynamiker (m/w).
Geschlechtsspezifische Ausschreibung
Die
bereits existierende Rechtssprechung kann weiterhin als
Grundlage für die Beurteilung der geschlechtsneutralen
Ausschreibung herangezogen werden. Auch in Zukunft
sollten die Ausschreibungen männliche als auch weibliche
Formen explizit aufführen (alternativ: den Zusatz m/w
führen) und dies nicht nur in der Überschrift sondern
vorsichtshalber im gesamten Text tun.
Lichtbild und
Lebenslauf
Unklar
ist derzeit, inwieweit künftig noch nach einem Lichtbild
gefragt werden darf. Unzulässig ist das nach dem Gesetz
jedenfalls nicht. Es wird jedoch davor gewarnt, mit der
Begründung, dass sich aus dem Foto ja schließen lasse,
welches Geschlecht und welche Haut- und Haarfarbe ein
Bewerber habe, sowie ob er männlich oder weiblich sei.
Dies könne eine negative Indizwirkung entfalten, und
deshalb sei vorsichtshalber auf die Anfrage nach dem
Lichtbild zu verzichten.
Folgt man
dieser Argumentation, dann wird man auch beim Lebenslauf
überlegen müssen, ob man ihn tatsächlich noch
ausdrücklich anfordert – aus den meisten
Lebensläufen ergeben sich ja auch die Geburtsdaten und
das Geschlecht. Noch weitergehend wird ähnliches
vertreten für die Anforderung der „vollständigen“
beziehungsweise „kompletten“ Bewerbungsunterlagen.
Diese
Argumentation wird zwar zum Teil sehr weit führen,
vorsichtshalber sei jedoch darauf hingewiesen. Wer auf
Nummer sicher gehen möchte, verzichtet darauf oder
schwächt die Formulierung so weit ab, dass nur noch der
„berufliche Werdegang“ erfragt wird. Damit dürften
zumindest die Positionen, für die eine Berufserfahrung
zulässigerweise gefordert wird, abgedeckt sein.
Muttersprache
Wenn eine
bestimmte Muttersprache verlangt wird, stellt dies eine
Benachteiligung aufgrund ethnischer Herkunft dar. Daher
ist es empfehlenswert, auf das Signalwort
„Muttersprache“ stets zu verzichten. Wo
Deutschkenntnisse tatsächlich in Form von fließenden
Kenntnissen oder akzentfreier Aussprache für die
ausgeschriebene Position erforderlich sind, sollte man
die Anforderung auf das erforderliche Maß beschränken,
also beispielsweise auf „fließende Deutschkenntnisse“
bzw. „akzentfreie Aussprache“. Auch dies geht nur nach
besonderer Prüfung, beispielsweise für Lektoratsstellen
im Verlagswesen oder Moderatoren bzw.
Tagesschausprecher. Für eine Position als
Reinigungsfachkraft wird man vorsichtshalber keine
fließenden oder akzentfreien Deutschkenntnisse mehr
verlangen.
Inwieweit
Fremdsprachen künftig nur mit Begründung verlangt werden
dürfen, ist in der Literatur derzeit umstritten.
Teilweise wird postuliert, Fremdsprachen sollten so
sparsam wie möglich gefordert werden, denn auch die
Forderung nach akzentfreien indischen oder englischen
Sprachkenntnissen stelle eine Benachteiligung nach
ethnischer Herkunft dar. Andere meinen, sehr gute
Fremdsprachenkenntnisse seien fachliche Qualifikationen
- ähnlich wie der Einser in Physik - , die mit dem AGG
nichts zu tun haben. Die Zeit wird zeigen, wie die
Gerichte dies sehen. Auch hier ist es ratsam,
Fremdsprachen vorsichtshalber nur noch fallbezogen zu
fordern.
Mobil
Auf die
Signalwörter „mobil“ oder „körperlich belastbar“ sollte
genauso verzichtet werden wie auf „geistig flexibel“. In
allen Fällen kann bei vorsichtiger Auslegung eine
Benachteiligung wegen Behinderung gesehen werden. Im
Einzelfall (gegebenenfalls Mobilität für eine Position
im Außendienst) mag es gerechtfertig sein.
Merke: Signalworte wie
mobil, belastbar, flexibel nicht mehr verwenden, außer
im Einzelfall (§ 8 AGG).
Rasse
Eine
Ausschreibung, die – in welcher Form auch immer – an
eine bestimmte Rasse anknüpft, kann niemals zulässig
sein und muss in jedem Fall unterbleiben. Das ist nicht
zu verwechseln mit bestimmten Anforderungen an die
ethnische Herkunft, die im Einzelfall zulässig sein
können. Selbstverständlich muss auf einschlägiges
Vokabular in der Stellenanzeige (Arier, Schwarzafrikaner
u.ä) verzichtet werden. Dies dürfte in der Praxis kaum
Änderungen mit sich bringen.
Merke: Zur Benachteiligung
nach Rasse gibt es keine Rechtfertigung.
Rechtsfolgen
Ein
Verstoß gegen § 11 entfaltet eine Indizwirkung zu Lasten
des Arbeitgebers. Klagt ein Bewerber oder eine
Bewerberin und liegt ein Verstoß gegen § 11 vor, so muss
der Arbeitgeber vor Gericht behaupten und nachweisen,
dass das Verfahren tatsächlich dennoch korrekt
durchgeführt wurde und keine unzulässige Benachteiligung
erfolgte. Verschulden von Erfüllungsgehilfen des
Arbeitgebers (Agenturen, Personaldienstleister) werden
dem Arbeitgeber im Verhältnis zum Bewerber zugerechnet,
dass heißt zur Last gelegt.
Für das
Verhältnis Arbeitgeber – Personaldienstleister bzw.
Agentur bedeutet dies: Prüfen Sie die Haftungsverteilung
in Ihren Verträgen! Wer muss für die rechtliche
Zulässigkeit der Stellenanzeige sorgen? Übernimmt der
Personaldienstleister entsprechende
Schadensersatzforderungen seines Auftraggebers? Hat der
Personaldienstleister überhaupt sämtliche Informationen,
um die Zulässigkeit einer Stellenanzeige im Einzelfall
beurteilen zu können? Dies sind Punkte, über die im
Verhältnis Arbeitgeber – Dienstleister rechtzeitig
Einigkeit gefunden werden sollte.
§ 15 AGG
regelt Schadensersatz und Entschädigungsansprüche. Der
Bewerber oder die Bewerberin muss einen Anspruch
innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten ab
Bekanntgabe der Ablehnung gegen den Arbeitgeber geltend
machen.
Praxistipp: Achten
Sie darauf, wann Absagen und Ablehnungsschreiben den
Bewerbern und Bewerberinnen zugegangen sind. In
kritischen Fällen: Zugangsnachweis sichern!
Da bei
der Bewerbungsflut nicht jede Absage per Einschreiben
versendet werden kann, haben einige unserer Kunden
entsprechende interne Verfahren zur Dokumentation des
Postausgangs eingeführt. Danach vermerkt der zuständige
Mitarbeiter per Unterschrift oder Namenskürzel, wann
welche Absage zur Post gegeben wurde. Dies ist zwar eine
gute Maßnahme für die Praxis, einen Zugangsnachweis gibt
das jedoch nicht, denn die Post ist nicht
Empfangsbevollmächtigter des Bewerbers, und der
Zeitpunkt des Einwurfs einer Absage in den Briefkasten
bleibt unklar. Hierfür sei auf die herkömmlichen Mittel
(Einschreiben mit entsprechender Zeugenaussage, vom
Empfänger bestätigtes Telefax) verwiesen: In einzelnen
besonders „kritischen“ Fällen empfiehlt es sich, diesen
Weg zu gehen, auch wenn er für die Masse der Bewerber
nicht praxistauglich ist.
Wichtig
ist, dass auch mündliche Absagen dokumentiert werden
müssen.
Praxistipp:
Telefonnotiz für mündliche Absagen mit Datum versehen.
Ablehnungsschreiben und mündliche Absagen müssen künftig
so kurz wie möglich gehalten werden. „Nette“
Formulierungen wie sie in der Vergangenheit üblich waren
(„diese Absage hat nichts mit Ihren fachlichen
Fähigkeiten zu tun. Wir haben uns für einen Bewerber
entschieden, der besser zu uns passt“) können künftig
Klagen auslösen. Denn damit wird indiziert, dass der
Bewerbungsprozess nicht auf fachlicher Grundlage geführt
wurde. Vielmehr öffnet dies der Argumentation Tür und
Tor, es sei das Vorliegen von fachfremden Merkmalen für
die Auswahl entscheidend gewesen. Leicht lässt sich nun
argumentieren, darunter seien auch solche
Diskriminierungsmerkmale gewesen, die von § 1 AGG
geschützt werden.
Praxistipp: Halten
Sie Ihre Ablehnungsschreiben kurz. Geben Sie keine
Gründe an.
Wichtig:
Ausnahmen gelten bei Schwerbehinderung (§81 Abs. 1 S.9
SGBIX). Hier wurde bereits gegenteilig entschieden:
Einem abgelehnten Bewerber steht ein
Entschädigungsanspruch zu, wenn die Gründe nicht
mitgeteilt wurden (LAG Hessen, Urt. vom 7.11.2005-7 Sa
473/05).
Praxistipp: Bestimmen
Sie bereits in der Stellenanzeige den Zeitpunkt der
Beendigung des Bewerbungsverfahrens.
Eine Kundin schreibt zum Beispiel in ihre Anzeige: „Das
Bewerbungsverfahren läuft bis einschließlich 05.12.2006.
Danach eingehende Bewerbungen werden nicht mehr
berücksichtigt.“
Mit
dieser Datumsangabe beschränken Sie Ihre
Haftungsrisiken. Nach dem angegebenen Datum eingehende
Bewerbungen und darauf beruhende Forderungen können
gegebenenfalls mit der Begründung zurückgewiesen werden,
dass das Verfahren zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits
beendet war.
Progressiver Umgang
mit dem AGG
Ein Kunde
aus der Computerbranche versieht seine Stellenanzeigen
mit einem Hinweis darauf, dass eingehende Bewerbungen
nur auf ihre fachliche Qualifikation hin ausgewertet
werden, und dass Talente unabhängig von Rasse,
Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Identität,
Nationalität, Schwerbehinderung oder Alter
berücksichtigt würden. Andere Kunden verwenden ähnliche
Standardformulierungen.
Solch
eine Absichtserklärung garantiert keine Heilung etwaiger
Rechtsverletzungen. Es ist jedoch ein Schritt, um das
Gesetz positiv für das Image des eigenen Unternehmens zu
nutzen.
Das Bewerberverfahren
Die
schönste und neutralste Stellenanzeige der Welt hilft
natürlich nicht, wenn das Bewerberverfahren fehlerhaft
verläuft. Stets muss darauf geachtet werden, ein
prinzipiell ordnungsgemäßes Verfahren nicht durch
unvorsichtige Äußerungen am Telefon zu gefährden.
Ein
wahrer Fall: Kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des AGG
ruft ein Bewerber bei der Personalabteilung eines
Unternehmens an. Die Stellenanzeige ist neutral
formuliert. „Wie ist das“, fragt die Stimme am Telefon.
„haben Sie Altersgrenzen?“ „Nein“, antwortet der
Personaler. „eigentlich nicht. Wie alt sind Sie denn?“
Darauf der Bewerber: „62“. „Na ja“ sagt der Personaler
„also in dem Fall, ehrlich gesagt, ich glaube nicht,
dass es viel Sinn macht, Ihre Unterlagen bei uns
einzureichen.“ Die Unterlagen werden nicht mehr
eingereicht. Statt dessen kommt ein kurzes Schreiben mit
einem Verweis auf das AGG und eine Klageandrohung. Man
einigt sich außergerichtlich auf eine Abstandszahlung.
Es sei
hier dahin gestellt, ob eine Klage des Bewerbers
überhaupt Erfolg gehabt hätte. Bei telefonischen
Auskünften sollte man jedoch stets vorsichtig sein.
Gewöhnen Sie sich an, jedes Gespräch mit Bewerbern
schriftlich in einer Aktennotiz mit Datum festzuhalten.
Praxistipp: Einige
Firmen haben Arbeitsanweisungen erlassen, die den
Fachabteilungen verbietet, telefonisch mit Bewerbern in
Kontakt zu treten. Sämtliche relevante mündliche und
schriftliche Korrespondenz sollte dem geschulten
Fachpersonal aus der Personalabteilung vorbehalten
bleiben.
Benutzen
Sie Online-Bewerbungsformulare? Prüfen Sie diese
auf Signalwörter! Oft verstecken sich darin noch Fragen
nach dem Geburtsdatum, nach Muttersprache oder nach dem
Geschlecht, zum Beispiel in der Anrede.
Bei
Bewerbungsgesprächen mit „schwierigen“ Kandidaten hilft
es, wenn mehrere Mitarbeiter des Unternehmens anwesend
sind um den korrekten Ablauf zu bezeugen.
Wichtig: Zeugen beim
Bewerbungsgespräch.
Dokumentation ist künftig die Essenz Ihres
Bewerbungsverfahrens. Je mehr objektive Kriterien Sie im
Zusammenhang mit der Besetzung für eine Position
dokumentieren, desto eher wird Ihnen im Klagefalle die
Entlastung gelingen. Das beginnt mit dem
Anforderungsprofil, das im Vorfeld bereits erstellt sein
sollte. Für jeden Bewerber muss es eine Checkliste
geben, aus der sich ergibt, in wie weit das
Anforderungsprofil erfüllt wurde. Auch die Kriterien,
die letztlich zur Einstellung eines Bewerbers führten,
sollten dokumentiert werden. Bewahren Sie alle
Unterlagen gut auf und löschen bzw. vernichten Sie diese
frühestens nach Ablauf einer Frist von zwei Monaten nach
Zugang der Absage beim Bewerber. Das gilt auch für die
vom Bewerber selbst eingereichten Unterlagen. Im
Streitfalle entfällt die Löschung sogar bis zum
Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. § 28
Bundesdatenschutzgesetz muss in soweit neu interpretiert
werden. Es gibt freilich inzwischen Anwälte, die raten,
entsprechende Hinweise über die längere Aufbewahrung der
Unterlagen in die Stellenanzeigen aufzunehmen – das geht
sehr weit und wird von vielen auch nach dem
Bundesdatenschutzgesetz nicht für erforderlich gehalten.
Eine Entscheidung durch die Gerichte gibt es dazu
allerdings noch nicht. Elegant löst man dieses Dilemma
über ein Bewerbermanagement System, das die Zustimmung
zur Speicherung sämtlicher Daten in den
Registrierungsprozess integriert hat. Egal, wie, es ist
jedenfalls nicht ratsam, bei der früheren
Verfahrensweise zu bleiben und – wie früher – Unterlagen
mit dem Ablauf des Verfahrens bereits zurück zu senden
oder zu löschen.
Elektronische Bewerber-Managementsysteme helfen dabei.
Möglicherweise finden Sie dort auch Muster für
Ablehnungsschreiben, Checklisten für Anforderungsprofile
und den Einstellungsprozess.
Hinweis:
Dokumentieren Sie jeden Schritt des Verfahrens.
Ist es
jedoch passiert, und ein Bewerber oder eine Bewerberin
drohen wirklich mit Klage, dann greifen Sie nicht
vorschnell in die Tasche. Holen Sie sich anwaltlichen
Beistand, denn oft sind die Voraussetzungen für einen
Anspruch gar nicht gegeben. Für eine erfolgreiche Klage
hat die Rechtsprechung objektive und subjektive
Anforderungen an die Bewerbereigenschaft entwickelt.
Lässt der Bewerber an der Begründung beispielsweise ein
ernsthaftes Interesse vermissen, bestehen also Zweifel
an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung, dann liegt ggf.
Rechtsmissbrauch vor und der Anspruch entfällt.
Eventuell gelingt auch der Nachweis, dass das
Auswahlverfahren diskriminierungsfrei durchgeführt wurde
– trotz unzulässiger Stellenanzeige oder eventuellen
Fehlern während des Bewerbungsverfahrens.
Beispiel:
Eine Vertriebsleiterposition ist nicht
geschlechtsneutral ausgeschrieben worden. Eine junge
Dame klagt deshalb. Der Arbeitgeber hat trotz
fehlerhafter Ausschreibung eine andere Dame als
Vertriebsleiterin eingestellt. Eine Diskriminierung von
Frauen liegt offensichtlich nicht vor.
Beispiel: Können Sie nachweisen, dass eine Stelle bereits besetzt war, als die Bewerbung
des späteren Klägers einging, dann war das
Bewerbungsverfahren bereits abgeschlossen. Ein Anspruch
aus AGG müsste dann richtigerweise entfallen.
Für Ihre Fragen, Anmerkungen,
Ergänzungen oder Kommentare steht Ihnen Frau Dr.
Stollhoff per eMail gerne zur Verfügung:
susanne.stollhoff@stepstone.de
In einem umfangreichen StepStone
Special zum AGG, das bei neuen Erkenntnissen
aktualisiert wird, finden Sie weitere Informationen:http://www.stepstone.de/ueberuns/default.cfm?link=agg
Info StepStone
StepStone wurde 1996 in Norwegen gegründet und zählt zu
den Pionieren professioneller Anbieter von
Online-Recruitment-Services. StepStone wird monatlich
2,8 Millionen Mal von qualifizierten Kandidaten besucht,
die sich auf
www.stepstone.de
über aktuelle Jobangebote informieren. StepStone
Solutions stellt Unternehmen softwarebasierte Lösungen
und innovative Technologien für eine effektive
Personalarbeit zur Verfügung. Zahlreiche Unternehmen wie
Robert Bosch, ThyssenKrupp, Deutsche Telekom und Siemens
nutzen die Online-Dienstleistungen von StepStone für
ihre Personal-Rekrutierung. Im Rahmen des StepStone
Netzwerkes "The Network" ist es Unternehmen möglich, in
53 Ländern weltweit mit nur einem Ansprechpartner nach
neuen Mitarbeitern zu suchen.
Seit dem 12. November
2004 ist die Axel Springer AG im Rahmen einer
strategischen Allianz mit 49,9 Prozent an der StepStone
Deutschland AG beteiligt. In Zusammenarbeit mit den
Tageszeitungen DIE WELT, HAMBURGER ABENDBLATT und
BERLINER MORGENPOST sowie der Wirtschaftszeitung EURO am
Sonntag bietet StepStone Unternehmen leistungsfähige
Online/Print-Kombiprodukte für noch mehr Reichweite und
Qualität.
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