NRW-Wahl und 2/3-Mehrheit im
Bundesrat:
Neuer Zündstoff für
Anti-Diskriminierungsgesetz (ADG)
ADG als
Gradmesser für die Handlungsfähigkeit der
Bundesregierung
Gummersbach, 21. April 2005
Die rot-grüne Regierungskoalition weigerte sich gestern,
das Anti-Diskriminierungsgesetz im Bundestagsausschuss
für Wirtschaft und Arbeit zu diskutieren. In Anbetracht
einer möglichen 2/3-Mehrheit der unionsgeführten Länder
im Bundesrat nach der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen sollte die Bundesregierung aber
einen Konsens suchen, um ihre Handlungsfähigkeit zu
beweisen. „Es müsste jetzt versucht werden, sich über
den arbeitsrechtlichen Teil anzunähern. Er ist das
Herzstück des Antidiskriminierungsgesetzes mit
Regelungen zum Diskriminierungsschutz in Beschäftigung
und Beruf, dem die meisten Paragraphen gewidmet sind“,
sagt Jürgen Kunz, Geschäftsführer und
Arbeitsmarktexperte der Managementberatung Kienbaum.
Eine
Annäherung könne zu einem Konsens für das Gesamtgesetz
führen. Dies wäre ein wichtiges Signal zur
Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. „Wenn die neue
Fassung des Antidiskriminierungsgesetz-Entwurfs – im
Zuge der Landtagswahl in NRW und der großen Koalition in
Schleswig-Holstein – im Bundesrat mit 2/3-Mehrheit
abgelehnt wird, ist die Umsetzung der EU-Richtlinien
vorläufig gescheitert (suspendierendes Veto). Dann
bedarf die Zurückweisung des Einspruchs durch den Bundestag
einer Mehrheit von 2/3 der abstimmenden Mitglieder –
mindestens der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des
Bundestages. Die so genannte Kanzlermehrheit genügt
nicht mehr. Daher könnte das Antidiskriminierungsgesetz
zum ‚Knackpunkt’ der Regierungsfähigkeit in Deutschland
werden“, sagt Jürgen Kunz.
Im
zivilrechtlichen Teil des ADG wurden nur geringe
Nachbesserungen vorgenommen, der Anwendungsbereich geht
unverändert über die EU-Richtlinien hinaus. Im
arbeitsrechtlichen Teil wurde hingegen eine Vielzahl
sinnvoller Verbesserungsvorschläge umgesetzt. „Letzteres
wird allgemein anerkannt, wenn auch als nicht
ausreichend angesehen“, sagt Jürgen Kunz.
Hintergrund und Handlungsempfehlungen:
Erfordernis einer gesetzlichen Regelung zur Höhe der
Schadensersatzansprüche
„Der
Gesetzgeber hat noch nicht in erforderlichem Umfang die
Grundsätze für die Bemessung von
Schadensersatzansprüchen im Fall einer diskriminierenden
Ablehnung, beispielsweise bei einer Bewerbung, geregelt.
Der Entwurf sagt nur, dass der Arbeitgeber verpflichtet
ist, den durch die Verletzung des
Benachteiligungsverbots entstandenen Schaden zu
ersetzen, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten
hat. Die konkrete Höhe, oder auch eine Höchstgrenze oder
ein Festbetrag, und damit auch die etwaige
Erwartungshaltung eines Benachteiligten über die Höhe
eines möglichen Schadensersatzanspruches sind offen.
Damit nicht die ohnehin überlasteten Arbeitsgerichte
über die Höhe bzw. zeitliche Begrenzung eines
Schadensersatzanspruches entscheiden müssen, empfiehlt
sich eine klare gesetzliche Regelung. Eckpunkte sollten
zum einen die Höhe der durch die Nichteinstellung
entgangenen Bezüge und zum anderen für die Bemessung der
Dauer des entgangenen Gehalts die gesetzliche oder ggf.
vertragliche Kündigungsfrist sein“, regt
Kienbaum-Partner Kunz an.
„In diesem
Zusammenhang sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass
der neben dem Schadensersatzanspruch bestehende
„Schmerzensgeldanspruch“ ebenfalls nur dann zu zahlen
ist, wenn der Arbeitgeber die der Benachteiligung
zugrunde liegende Pflichtverletzung zu vertreten hat. Im
Interesse der Rechtssicherheit sollte ferner
unmissverständlich geregelt sein, ob bzw. wie im Fall
einer diskriminierenden Kündigung die Ansprüche auf
Schadensersatz u. Entschädigung (= Schmerzensgeldes)
einerseits und Abfindung andererseits zueinander
bestehen, alternativ, kumulativ/additiv bzw. durch
Verrechnung/Anrechnung beispielsweise der
Abfindungszahlungen mit Entschädigungsleistungen nach
dem Antidiskriminierungsgesetz erfolgen", so Jürgen
Kunz.
Keine
Abtretung von Entschädigungsansprüchen an
Antidiskriminierungsverbände
„Der
überarbeitete Gesetzentwurf sieht immer noch die
ausdrückliche Möglichkeit der Abtretung von
Schadensersatzansprüchen und Entschädigung an zu
bildende Antidiskriminierungsverbände vor. Es besteht
keine Notwendigkeit, eine solche spezialgesetzliche
Abtretungsregelung einzuführen. Betroffene sollten die
Möglichkeit der Unterstützung von
Antidiskriminierungsverbänden nutzen können, aber
grundsätzlich selbst ihre Rechte im eigenen Namen
geltend machen. Daher sollte dieser Passus ersatzlos
gestrichen werden“, sagt Kunz.
Klarstellung bei der Beweislast-Thematik
„Die
Diskussion um die Beweislast wurde und wird besonders
intensiv geführt. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den
einschlägigen Paragraphen unverändert gelassen. Er hat
lediglich die Nummerierung von § 23 in § 22 geändert. Es
sollte eindeutig und präzise klargestellt und
kommuniziert werden, dass es sich bei der
Beweislast-Thematik um eine Beweiserleichterung und
nicht um eine Beweislastumkehr handelt. Der Gesetzgeber
sollte daher verdeutlichen, dass die Person, die sich
auf eine Benachteiligung wegen Diskriminierung beruft,
die Tatsache der Diskriminierung im ersten Schritt
"überwiegend wahrscheinlich machen muss", und dies mit
den im jeweiligen Verfahren zulässigen Beweismitteln.
Erst wenn dies erfolgreich gewesen ist, kommt es zum zweiten Schritt,
wonach der Arbeitgeber vorzutragen und zu beweisen hat,
dass andere als Diskriminierungsgründe die
unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder die
unterschiedliche Behandlung wegen Diskriminierung
trotzdem zulässig ist", sagt Kienbaum-Geschäftsführer
Kunz.
Überarbeitung der Fristen
„Die
Fristen sollten noch einmal überdacht werden, wie
beispielsweise, dass ein Anspruch auf Schadensersatz und
Entschädigung ("Schmerzensgeld") sogar noch sechs Monate
nach dem Zugang der Ablehnung der Bewerbung, wenn also
das Bewerbungsverfahren schon längst abgeschlossen ist
(Überbürokratismus und Dokumentationspflichten für den
Arbeitgeber), noch geltend gemacht werden kann. Eine
Ausnahme sieht der neue Entwurf nur dann vor, wenn die
Tarifvertragsparteien etwas anderes vereinbart haben. Zum einen
besteht keine Veranlassung, diese Frist nur dann zu
variabilisieren, d.h. zu verkürzen oder zu verlängern,
wenn Tarifvertragsparteien dies vereinbaren. Warum soll
dies nicht für alle gelten? Zum
anderen ist eine
Frist zur Anspruchserhebung von sechs Monaten nicht
erforderlich. Der Arbeitgeber wird über Gebühr mit
monatelangen Dokumentationserfordernissen für hunderte
von Bewerbungsunterlagen bei einem einzigen
Bewerbungsvorgang belastet", sagt
Kienbaum-Arbeitsmarktexperte Kunz.
Zudem müsse
auf die Frist noch eine weitere Frist von 3 Monaten
hinzugerechnet werden, weil erst dann die Klagefrist
abläuft. „Diese dreimonatige Klagefrist ist überdies
zumindest dann auf 3 Wochen zu reduzieren, wenn die
Benachteiligung sich in einer Kündigung äußert, weil für
Kündigungsschutzklagen einheitlich die 3-Wochen-Frist
gilt“, sagt Jürgen Kunz.