Der Virtuelle Arbeitsmarkt der BA als
Musterbeispiel?
Die Inkompetenz der staatlichen Wirtschaftspolitik -
Deutschland verspielt seine Zukunftsfähigkeit
Neuss/Düsseldorf - Die deutsche Konjunktur verharrt
immer noch in der Stagnation, viele Unternehmen bauen
weiter Personal ab und der internationale
Wettbewerbsdruck ist immens: 'Trotzdem leisten wir uns
Scheindebatten über Ausbildungsplatzabgaben, verteuern
die Energie, verpulvern staatliches Geld für
Windkraftwerke, verteufeln zukunftsträchtige
Technologien und versuchen, mit pharisäerhaften
Patriotismusdebatten den Status quo unseres überteuerten
Sozialstaates zu verteidigen. Wir sitzen auf einer
tickenden Zeitbombe und verplempern wertvolle Zeit bei
der Umsetzung von überfälligen Reformen', kritisiert
Michael Müller, Geschäftsführer der a & o aftersales &
onsite Services GmbH in Neuss.
So sei die tarifvertraglich zementierte Arbeitszeit
ein Auslaufmodell. Unternehmer, Mitarbeiter und
Betriebsräte sollten selbst für ihren Betrieb festlegen,
wie lange und an welchen Tagen gearbeitet werde. Die
Arbeitszeitwende sei schon längst Realität, auch wenn
Gewerkschaftsfunktionäre wie Verdi-Chef Frank Bsirske
das nicht wahrhaben wollen. Angesichts der schwierigen
Wirtschaftslage und mit Blick auf die EU-Erweiterung
dürfe auch unbezahlte Mehrarbeit kein Tabu sein. 'Eine
Senkung der Arbeitskosten stärkt unsere
Wettbewerbsfähigkeit. Kürzere Wochenarbeitszeiten
bringen eben nicht mehr Jobs in Deutschland, sondern
beschleunigen nur den Export von Arbeitsplätzen,' so der
Einwand von Müller.
Deutschland sei bezeichnenderweise nur noch
Freizeitweltmeister und nicht mehr Wachstumsweltmeister.
'Rund 42 Urlaubs- und Feiertagen hierzulande stünden
beispielsweise 36 in Frankreich oder 23 in den USA
gegenüber. Die Löhne in Deutschland stiegen seit 1950 um
1.600 Prozent, die Arbeitszeit sank im Gegenzug um 18
Prozent. Der Staat tat das Übrige, diesen Prozess der
Verteuerung und Verknappung von Arbeit zu fördern,
obwohl er ihn hätte bremsen müssen. Nur die Holländer
und Norweger arbeiten heute weniger als die Deutschen',
führt Müller aus.
Betrachtet man alle Deutschen – auch Kinder ab dem
zehnten Lebensjahr, Rentner und Arbeitslose - ,
verwendeten im Jahr 2002 alle 82,5 Millionen zusammen
nur 13 Prozent ihres Zeitbudgets für Berufsausbildung
und bezahlte Tätigkeit. Diese 13 Prozent freilich müssen
die übrigen 87 Prozent des Lebens mitfinanzieren. 'So
können wir unseren Wohlstand nicht mehr finanzieren',
moniert Müller. Ein paar Stunden Mehrarbeit pro Monat
oder weniger Urlaubstage sei jedem zumutbar. Durch die
Erhöhung der Wochenarbeitszeit um nur eine Stunde ohne
Lohnausgleich könnte man das Bruttoinlandsprodukt um
mehr als 20 Milliarden Euro steigern. Ein weiteres
Problem sieht der Mittelständler Müller in der
einseitigen Ausrichtung der staatlichen
Wirtschaftspolitik auf große Unternehmen. 'Neue
Unternehmensgründungen in der Dienstleistungsbranche,
die nicht in Anlagevermögen investieren, haben kaum eine
Chance, Anschubfinanzierungen zu erhalten und sich in
den ersten Jahren im Ergebnis nach Steuern zu
konsolidieren', kritisiert Müller. Eine Steuerpolitik,
die neue Unternehmen in den ersten Jahren pauschal und
nur gering besteuert, wie es in anderen Ländern der Fall
ist, würde wesentlich zur Gründung und zum Erfolg neuer
Unternehmen beitragen.
Auch das Forschungs- und Universitätswesen in
Deutschland sei völlig anachronistisch und nicht mehr
zeitgemäß. 'In der Technologie-Entwicklung leistet die
deutsche Lehre wenig und in anderen Bereichen gar
nichts. Wenn Deutschland den Schritt in die
Dienstleistungsgesellschaft machen will, dann müssen die
Hochschulen die Grundlagen dafür schaffen: Marketing,
Business-Strategien, Management-Techniken,
Beratungskonzepte. Heute kommt das alles aus dem
anglo-amerikanischen Raum und in der Folge sind im
internationalen Bereich auch keine deutschen
Dienstleistungsunternehmen präsent', betont Müller.
Das führe zu einer zunehmenden Innovationsträgheit in
Deutschland bekämpfen. 'Die Bundesregierung kürzt beim
Hochschulaufbau, streicht Forschungsgelder und macht bei
der Verteilung der Fördermittel grobe Fehler. Das Tempo
des technischen Fortschritts hat sich in einem Jahrzehnt
halbiert. Der Weltmarktanteil bei forschungsintensiven
Produkten ist gesunken, die Basis für Exporte bröckelt –
auch wenn das in den amtlichen Statistiken noch nicht
ablesbar ist', sagt Ralf Sürtenich von der Düsseldorfer
Unternehmensberatung insieme business.
Besonders in Zukunftsbranchen habe der Staat seine
Inkompetenz unter Beweis gestellt: 'Bei der
Versteigerung der UMTS-Lizenzen für rund 50 Milliarden
Euro vor rund vier Jahren wurde der strategische Fehler
gemacht, dieses Geld nicht für den Strukturwandel in der
Branche für Informationstechnik und Telekommunikation
einzusetzen. Der Staat hat die Hand aufgehalten, ohne im
Gegenzug eine Leistung dafür zu erbringen. Es wurde mit
den Erlösen auch versäumt, den Ausfall des
Risikokapitals nach dem Ende des New Economy-Booms durch
staatliche Anschubfinanzierungen zu kompensieren. Und
die Regulierung der Telekommunikation, die im Ergebnis
nur das Monopol der Deutschen Telekom konserviert, aber
aus dem Thema UMTS keine Lehren zieht, wird Deutschland
in diesem zukunftsorientierten Sektor im internationalen
Vergleich zurückfallen lassen', prognostiziert Sürtenich.
Angesichts der Schnelligkeit der Märkte und der immer
kürzeren Technologiezyklen sei die Politik heute gar
nicht mehr in der Lage, aktuelle Themen und
Entwicklungen adäquat zu behandeln. 'Toll-Collect und
die virtuelle Jobbörse der Bundesanstalt für Arbeit
demonstrieren die Hilflosigkeit der öffentlichen
Verwaltung, derartige Projekte zu verstehen und zu
managen', bemängelt Sürtenich.