Galaktische Berufswahl für die Null-Bock-Generation:
Neues BA-Portal mit Landeschwierigkeiten
[Crosswater Systems]
1.10.2008 / ghk.
Vor etwa zwanzig Jahren galt "galaktisch" im Slang der
Jugendlich eigentlich als eine Prädikatsauszeichnung,
heutzutage wird dies eher von anderen Begriffen
abgelöst. Dessen ungeachtet hat die Bundesagentur für
Arbeit eine neue Webseite konstruiert, um Jugendlichen
eine Entscheidungshilfe für die Berufswahl zu geben -
die Namenswahl fiel auf planet-beruf (www.planet-beruf.de).
Und wer genau hinter die optisch gut gemachte Fassade
blickt, merkt alsbald, daß es nicht unbedingt eine
galaktische Umsetzung eines löblichen Ziels geworden
ist.
Ein Test der Berufswahl ganz in der Mentalität der
Null-Bock-Generation geht bei Planet-Beruf relativ
leicht von der Hand: Wer bei den einzelnen Fragen zu
Interessen, Qualifikation, schulischen Leistungen oder
Motivation keine Skrupel hat, immer die unterste
Werteskala auszuwählen, kann sich überraschen lassen,
welche Berufe für Loosers vorgeschlagen werden. Ein
derartiger Null-Bock-Test offenbarte, eine Ausbildung
als Figurenkeramformer anzustreben. Offensichtlich
könnte das mit einer Tätigkeit als
Gartenzwerg-Hersteller zu tun haben. Doch das BA-Portal
Berufe-Net gibt präzisere Auskunft über diese Tätigkeit:
"Figurenkeramformer/innen vervielfältigen
Plastiken sowie Zier- und Gebrauchsgegenstände aus
keramischen Massen. Beschäftigung finden
Figurenkeramformer/innen in feinkeramischen
Industriebetrieben, z.B. in Keramik- und
Porzellanmanufakturen. Figurenkeramformer/in ist ein
anerkannter Ausbildungsberuf nach dem
Berufsbildungsgesetz (BBiG). Diese bundesweit geregelte
3-jährige Ausbildung wird in der Industrie angeboten".
Wie ein Hitchhiker durch die Galaxis:
Fertig zum Landeanflug. Fertig mit Planet-Beruf.
Mit einer Lobeshymne - gut getarnt als Pressemeldung
- schickte die Arbeitsagentur sein neues Portal auf die
mediale Öffentlichkeitstour. Und damit nicht genug:
Einer der bekanntesten Versicherungskaufleute und
jetziger Fernsehmoderator Oliver Pocher, wurde von der
BA unter Vertrag genommen, um die Auftaktveranstaltung
ganz im Sinne der Zeitgeist-Jugendlichen im Berliner
Tempodrom zu moderieren.
Doch wer sich die von Planet-Beruf zusammengestellte
Empfehlungsliste einmal genauer anschaut, erkennt eine
eklatante Schwäche des Portals: Es stellt überhaupt
keinen Bezug zur Realität der Arbeitswelt her, weil die
Empfehlungsliste ohne Rücksicht auf die tatsächliche
Arbeitsmarktlage in den Ausbildungsberufen erstellt
wird.
Einerseits ist die BA sehr stolz auf die hohe Zahl
der Stellenangebote, die in ihren Datenbanken schlummern
oder von der hauseigenen Jobsuchmaschine in den Weiten
des World Wide Webs aufgespürt werden, andererseits ist
sie nicht willens oder in der Lage, diese Informationen
bei ihren Vorschlägen zur Berufswahl heranzuziehen.
So wird den Jugendlichen suggeriert, daß sie
eigentlich jeden Ausbildungsberuf auswählen könnten -
ungeachtet der Nachfrage am Arbeitsmarkt. Es ist
bezeichnend, dass für den vorgeschlagene Beruf eines
Figurenkeramformers in der Jobbörse der Arbeitsagentur
auch keine einzige Stellenanzeige zu finden war.
Die zweite grundlegende Schwäche des
Berufsausbildungsansatzes, der unter dem Mehltau der
Arbeitsmarktbürokratie dahinschlummert, wurde mit
gekonntem Timing von der Bertelsmann-Stiftung in
Gütersloh aufgedeckt. Aus den Ergebnissen des Nationalen
Bildungsberichts wurde die Erkenntnis gewonnen, daß eine
Modernisierung der dualen Berufsausbildung in
Deutschland dringend erforderlich ist und die
Zersplitterung der Zuständigkeiten abgeschafft werden
sollten.
"Der Nationale Bildungsbericht macht deutlich, dass
der Übergang von der Schule in den Beruf für viele
Jugendliche zu einer beinahe unüberwindbaren Hürde
geworden ist", sagte Vorstandsmitglied Johannes Meier
bei der Vorstellung der Studie. Dieser Zustand sei aus
sozialen und ökonomischen Gründen nicht hinnehmbar. Um
möglichst allen jungen Menschen eine echte Chance auf
Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, müsse das duale
Ausbildungssystem modernisiert werden, so die
Bertelsmann-Stiftung weiter.
Inwieweit sich die bei der BA zuständigen Arbeits-
und Berufsausbildungsexperten über den neuesten Stand
der Erkenntnisse vor der Konzeption von Planet-Beruf
informiert haben, ist nicht abzuschätzen. Tatsache ist
jedoch, daß der Nationale Bildungsbericht von
Behörden-Kollegen der Ständigen Konferenz der
Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik
Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung erarbeitet wurde.
So wirft diese Neuentwicklung der Arbeitsagentur
einige Fragen auf, insbesondere nach Nutzen und Kosten.
Die Pressestelle in Nürnberg hat auch prompt und
ausführlich auf die gestellten Fragen geantwortet. Hier
der Wortlaut:
1. Berücksichtigt die Logik der Berufswahl die
tatsächliche Arbeitsmarktlage bzw. Nachfrage in den in
der Berufe-Datenbank der BA verfügbaren
Berufsbezeichnungen oder wird jeder Beruf unabhängig von
der Nachfrage und nur nach den Eignungen /
Qualifikationen der Auszubildenden vorgeschlagen?
In einem etwas fiktiven Beispiel wurde der Beruf des
Figurenkeramikformers empfohlen. Wieviele offene Stellen
gibt es denn zurzeit für diesen Beruf?
Das
Online-Portal - das unter wissenschaftlicher Begleitung
der Ruhr-Universität Bochum konzipiert wurde - dient der
Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern der
Sekundarstufe I, die noch keine konkreten Vorstellungen
von einem Beruf haben. Durch das Programm soll
|
die Eigeninitiative der Jugendlichen im
Berufswahlprozess gefördert, |
|
die Entscheidungsgrundlagen der Jugendlichen
verbessert, |
|
der Umgang mit weiterführenden berufskundlichen
Informationen angeregt, |
| den
Übergang von der Schule in den Beruf unterstützt
werden. |
Im
Mittelpunkt des Programms steht deshalb der Jugendliche
mit seinen Interessen, Stärken, Verhaltensweisen und
seinen schulischen Leistungen. Diese bilden die Basis
zur interaktiven und schrittweisen Erkundung von
passenden Berufen.
Der
Jugendliche macht dabei eine Reise durch das
BERUFE-Universum, in dem es fast 500 Planeten (Berufe)
zu erkunden gibt. Auf drei Stationen erfährt der
Jugendliche, welche Berufe zu seinen Interessen passen,
für welche Berufe er aufgrund seiner persönlichen
Stärken geeignet ist und in welchen Berufen er mit
seinen schulischen Voraussetzungen und Verhaltensweisen
gut landen kann oder ob es „Landeschwierigkeiten" geben
könnte. Die Jugendlichen erleben, dass jeder Mensch ein
individuelles Interessen- und Kompetenzprofil mitbringt
und bestimmte Berufe zu diesem Profil besser passen als
andere.
Die
spezifischen Bedingungen des Ausbildungsmarkts werden
nicht in Bezug zu den Berufsvorschlägen gesetzt. Die
regionale Ausbildungsstellensituation bei den einzelnen
Berufen weicht bundesweit z.T. stark voneinander ab.
Deshalb gestaltet es sich in einem bundesweiten Programm
schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen, zumal
sich die Angebotssituation im Verlauf eines Schuljahrs
ständig ändert.
2. Wie hoch waren die Entwicklungskosten
(Software-Entwicklung, Datenbank-Logik, Web-Gestaltung,
Training und Tests) für dieses Portal? Ist es
das einzige Berufsberatungsportal in Deutschland
oder werden ähnliche Funktionen bereits durch andere
Organisationen abgedeckt?
Für planet-beruf.de (incl. dem Vorläufermedium "MACH`S
RICHTIG") wurde im gesamten Haushaltsjahr 2008 rund 1,7
Mio € ausgegeben. Dies beinhaltet die Kosten für die
Konzeption und Umsetzung des gesamten Medienpakets,
bestehend aus
|
Schülerportal
www.planet-beruf.de
mit Selbsterkundungsprogramm „BERUFE Universum und
Bewerbungstraining sowie jeweils einem eigenen Bereich
für Lehrkräfte und für Eltern |
|
Berufswahlmagazin für Schülerinnen und Schüler
(Auflage ca. 900.000) |
|
Schülerarbeitsheft „Schritt für Schritt zur
Berufswahl" (Auflage 750.000) |
| Flyer
„Ausbildungsplatz finden" (Auflage 250.000)
|
| CD-ROM
Bewerbung, CD-ROM BERUFE-Universum |
|
Lehrerheft „Berufsorientierung in der Schule" (Auflage
55.000) |
|
Elternmagazin „Berufswahl begleiten" in deutscher und
türkisch/ deutscher Fassung (Gesamtauflage ca.
500.000) |
Planet-beruf.de stellt eines der größten
Berufsberatungsportale dar, das neben einem
Selbsterkundungsprogramm weitere umfangreiche Angebote
zum Thema Berufswahl und Ausbildungsplatzsuche bietet.
In dieser Kombination ist das Angebot planet-beruf, das
kostenlos für Schüler, Eltern und Lehrer (und alle
Interessierten) zur Verfügung steht, einmalig in
Deutschland.
3. Wie hoch waren die Kosten der
Auftaktveranstaltung insgesamt (Honorar für Oliver
Pocher, Spesen, Vorbereitung, Mietkosten der
Veranstaltungsräumlichkeiten usw.), die seitens der BA
angefallen sind?
Die
Kosten für die Auftaktveranstaltung können nicht einzeln
beziffert werden, da ein Gesamtkampagnenbudget zur
Verfügung steht, aus dem auch die Auftaktveranstaltung
bezahlt wird. Das Gesamtbudget für die Kampagne (dazu
gehört eine Online-Werbekampagne mit entsprechender
Schaltung auf Online-Portalen, POS-Aktivitäten in
Schulen und Arbeitsagenturen, Werbemittel für
Schulbesprechungen in den 9.Klassen, Filmmaterial für
die PR-Arbeit und die Auftaktveranstaltung) liegt bei
490.000 Euro.
Da die BA
den gesetzlichen Auftrag hat, Schülerinnen und Schüler
bei der Berufswahl zu beraten und zu informieren, geben
wir auch Medien zur Berufswahl heraus. Sie finden die
Regelungen im SGB III ab §§ 30 ff. Es steht hier also
keine Marketing-Idee im Vordergrund, sondern ein Auftrag
zur Berufsberatung.
Das
Portal
www.planet-beruf.de
löst den alten Auftritt von "Mach´s richtig" ab. Dazu
geben wir neben den Online-Angeboten auch
Printmaterialien heraus. Alle Infos dazu auch auf der
Hompepage.
|
Weiterführende Links:
Planet Beruf
http://www.planet-beruf.de/
Bundesagentur für Arbeit
http://www.arbeitsagentur.de/
Berufsinformationen der BA
http://www.arbeitsagentur.de/
Bertelsmann-Stiftung: Pressemitteilung Moderne
Berufsausbildung aus einer Hand - Stärkere Steuerung des
Systems der dualen Ausbildung
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F0A-7EA652D0/bst/hs.xsl/nachrichten_90514.htm
Nationaler Bildungsbericht: "Bildung in Deutschland
2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer
Analyse zu Übergängen im Anschluss an den
Sekundarbereich I"
http://www.bildungsbericht.de/daten2008/bb_2008.pdf
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