Stollhoff: Grundsätzlich besteht schon eine gewisse
Notwendigkeit den Gleichheitsgedanken auch in das
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu
tragen. Die bestehende Gesetzgebung regelte dieses nur
partiell: Das Grundgesetz klärt diese Beziehung nicht,
der Kündigungsschutz gilt lediglich für das Ende des
Beschäftigungsverhältnisses. Das EU-Recht schafft nur
den Rahmen für die nationale Gesetzgebung.
Auf
nationaler Ebene gab es zwar Einzelregelungen – zum
Beispiel im BGB für die Gleichstellung von Mann und
Frau. Auch hat die Rechtssprechung umfangreiche
Grundsätze entwickelt. Das AGG war allerdings das erste
nationale Gesetz mit dem Anspruch, das Thema
Gleichbehandlung im Zivilrecht und Arbeitsrecht
umfassend zu regeln. Allerdings ist auch klar: Das AGG
ist keine ausreichende Lösung in diesem Kontext. Es ist
nicht präzise und lässt insgesamt zu viel Raum für
Einzelrechtsprechung.
Crosswater Systems: Welche wegweisenden Gerichtsurteile sind
mittlerweile gefällt worden, um die Praxistauglichkeit
des AGG zu untermauern? Welche Grauzonen bestehen noch
heute?
Stollhoff: Es gibt bisher wenige Präzedenzfälle. In einem
wurde kürzlich entschieden: Drei Lufthansa-Piloten
hatten geklagt, dass sie aufgrund einer tariflichen
Altersbefristungsregel schon mit 60 aufhören sollten zu
fliegen. Ein Verstoß gegen das AGG wurde hier verneint.
In einem zweiten Fall klagte eine Stewardess erfolgreich
eine Entschädigung ein, weil ihr die Übernahme in ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis aus Altersgründen
verweigert worden war.
Die befürchtete Flut an Massenklagen ist bisher
ausgeblieben. Das ist im Prinzip natürlich gut. Es führt
aber auch dazu, dass wir in der Auslegung des AGG nicht
viel weiter sind und es in der Tat zahlreiche Grauzonen
in nahezu allen Bereichen gibt. Die Folge ist eine
relativ hohe Rechtsunsicherheit.
Crosswater Systems: Das AGG hat auch seine Spuren im Recruiting
hinterlassen. Worauf sollten Personaler achten, wenn sie
den Bewerberprozess AGG konform gestalten müssen?
Stollhoff: Das AGG verbietet grundsätzlich die
Benachteiligung aufgrund der im Gesetz definierten
Diskriminierungsmerkmale. Diese Merkmale sind Rasse,
ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung,
Alter, sexuelle Identität sowie im Arbeitsrecht:
Weltanschauung. Es sei denn, Ausnahmen bzw.
Rechtfertigungsgründe greifen.
Beschäftigte dürfen nicht wegen der genannten Merkmale
unzulässig benachteiligt werden.
Für den Personaler bedeutet dies, dass er primär auf
neutral verfasste Stellenanzeigen, AGG-konforme
Bewerberverfahren, lückenlose Dokumentation des
Bewerbungsverfahrens sowie auf AGG-konforme
Formulierungen der Absageschreiben achten sollte.
Crosswater Systems: Die beliebte Tradition, aussagekräftige
Bewerbungsunterlagen mit lückenlosem Lebenslauf und
Lichtbild zu verlangen, ist mit den Vorschriften des AGG
zu Grabe getragen worden. Sollten Bewerber
beispielsweise darauf verzichten, Lichtbilder
beizufügen, darf der Arbeitgeber dies bei
Stellenanzeigen und den geforderten Bewerbungsunterlagen
verlangen?
Stollhoff: Letztlich liegt die Entscheidung, wie eine
Bewerbung aussieht, beim Bewerber selbst. Er selbst
schätzt ein, welche Form der Bewerbung die größten
Jobchancen birgt. Aufgrund der genannten „beliebten
Tradition“ ist ein Lichtbild wohl immer noch ratsam –
auch wenn es nicht ausdrücklich mit angefordert wird.
Aus Unternehmenssicht gilt: Alles was initiativ an die
Unternehmen versandt wird, kann diesen nicht angelastet
werden.
Aber auch hier existiert Rechtsunsicherheit. Denn
inwieweit Lichtbild und Lebenslauf weiter angefordert
werden dürfen, ist noch nicht abschließend geklärt. Das
zeigt, dass wir hier in Deutschland relativ weit
hinterher hinken. In Großbritannien ist ein
Bewerbungsfoto schon seit zwanzig Jahren nicht mehr
üblich.
Crosswater Systems: Stellenangebot, Bewerbung, Absageschreiben: Was
ist zusammenfassend nicht mehr erlaubt?
Stollhoff: In der Stellenausschreibung muss in erster
Linie auf die Formulierung geachtet werden. Die muss in
der Regel neutral verfasst sein. Auch hinsichtlich des
Absageschreibens ist bei der Formulierung Vorsicht
geboten. Es sollte kurz sein und keine Gründe für die
Absage enthalten. Im Rahmen der Bewerbung gilt wie
gesagt: Der Bewerber darf und sollte sich so bewerben,
wie er das für richtig hält. Er kann also auch
Unterlagen beifügen, die nicht angefordert wurden.
Crosswater Systems: Professor Dr. Armin Trost (FH Furtwangen) hat
sich zu den Auswirkungen des AGG auf den Bewerberprozess
geäußert: „Der Bewerberprozess mündet in einem Albtraum,
wenn Arbeitgeber den Entscheidungsprozeß nicht durch
eine e-Recruiting-Lösung dokumentieren und nachweisen
können“. StepStone bietet auch eine Reihe von
e-Recruiting-Lösungen an, welche Änderungen hinsichtlich
der AGG-Vorschriften wurden vorgenommen?
Stollhoff: Wir haben darauf geachtet, dass unsere Kunden
mit unseren e-Recruiting-Lösungen jederzeit auf der
sicheren Seite stehen und nach der Einführung des AGG
entsprechende Anpassungen vorgenommen. So sind
beispielsweise Geschlechts- und Altersangaben im System
als Pflichtfeld gelöscht worden. Außerdem erlauben wir
die Löschung oder Änderung von Bewerberdaten durch den
Bewerber nicht mehr jederzeit, sondern tragen den
Fristen aus dem AGG durch eine entsprechende „Freeze-Function“
Rechnung.
Schon die Bewerbervorauswahl im Online-Verfahren stützt
sich auf rein sachliche Kriterien, wie notwendige
Software- oder Sprachkenntnisse, Berufs- und
Branchenerfahrung oder Examensnoten. Basierend auf
diesen Daten und dem vorher erstellten
Anforderungsprofil wird eine objektive Vorauswahl der
besten Bewerber erstellt, die im System dokumentiert
wird. Darauf kann sich das Unternehmen im Streitfall
berufen. Zudem lassen sich im System auch Vorlagen für AGG-sichere Stellenanzeigen und die
Bewerberkommunikation hinterlegen. Es gibt
Workflow-Prozesse, die zum Beispiel eine einfache
Einbindung eines AGG-Beauftragten ermöglichen.
Crosswater Systems: Als europäisches Karriere-Portal gehören die
Publikation von Stellenausschreibungen und das Prozessmanagement im e-Recruiting zu den Kernaufgaben
von StepStone. Was hat StepStone zur Klärung und
Beratung der AGG-Anforderungen beigetragen, was kann ein
Arbeitgeber von StepStone diesbezüglich erwarten?
Stollhoff: Wir laden unsere Partner und Kunden zu
regelmäßigen AGG-Workshops ein, wo unabhängige Experten
Rede und Antwort zu allen rechtlichen Aspekten der neuen
Gesetzgebung stehen.
Im weiteren schulen wir natürlich auch intern unsere
Mitarbeiter, damit diese unseren Kunden Hilfestellungen
bei der Erstellung von Anzeigen geben können. Das trägt
bereits Früchte und ist ein Service, der uns von unseren
Wettbewerbern unterscheidet.
Wir setzen klar auf einen
am Kunden orientierten Service. So schicken wir
bisweilen einen nicht AGG-konformen Anzeigentext mit
Verbesserungsvorschlägen an einen Kunden zurück mit der
Bitte diesen noch einmal zu überarbeiten. Auf unserer
Internetseite bieten wir eine eigene AGG-Seite mit
vielen Tipps und Informationen zum Thema.
Crosswater Systems: Angesichts des Fachkräftemangels gewinnt das
internationale Recruiting für viele Firmen an Bedeutung.
Was muss ein Personalentscheider bei den
Gleichstellungsgrundsätzen beachten wenn er den
Personaleinstellungsprozess über die Landesgrenzen
hinaus betreibt? Welche Unterschiede bestehen
beispielsweise in anderen europäischen Ländern?
Stollhoff: Grundsätzlich sind die europäischen Richtlinien
in den meisten EU-Ländern angekommen. Ausnahmen
bestätigen die Regel: In Schweden ist beispielsweise die
Richtlinie hinsichtlich der Diskriminierung des Alters
noch nicht umgesetzt.
Andere europäische Länder gehen dagegen über bestehende
Richtlinien hinaus. Hier ist natürlich Deutschland zu
nennen – aber auch Irland, wo die Gesetze zur
Altersdiskriminierung schon seit 1998 wirksam sind.
Altersdiskriminierung beschäftigt dort häufig die
Gerichte mit zum Teil sehr weitgehenden Ergebnissen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass EU-Richtlinien
überall gleich umgesetzt werden. Trotzdem müssen lokale
Unterschiede in der Gesetzgebung beachtet werden –
gerade für international agierende Jobboards ergeben
sich dadurch Schwierigkeiten, dass durch die nationalen
Unterschiede keine standardisierten, Anzeigenformate
angeboten werden können.
Crosswater Systems: StepStone hat jüngst eine Umfrage zum Thema AGG
durchgeführt. Was waren die wichtigsten Ergebnisse?
Welche Ergebnisse waren erwartet, welche waren für Sie
überraschend?
Stollhoff: Das AGG ist nun seit fast einem Jahr wirksam.
Aus diesem Anlass haben wir über 800 Personalmanager zu
ihrer Einschätzung befragt.
Die Ergebnisse zeigen: Das AGG ist ein ungeliebtes
Gesetz. 69,4 Prozent der Befragten halten das Gesetz für
sinnlos. Nur 15,4 Prozent finden es sinnvoll. Außerdem
behaupten 64 Prozent, dass sich ihr Arbeitsalltag durch
das AGG nicht verändert hat.
Den größten Hemmschuh im Umgang mit dem Gesetz sehen die
meisten in der unsicheren Rechtslage. Diese Einschätzung
teilen mehr als zwei Drittel (67,1 Prozent) der
Personalmanager. Das spricht für ein deutliches
Informationsdefizit. Weitere Schwierigkeiten aus Sicht
der Personalmanager sind die Änderungen hinsichtlich der
Aufbewahrung von Bewerberdaten (35 Prozent) sowie die
veränderten Regeln zur korrekten Erstellung von
Stellenanzeigen (31 Prozent).
Die Befragung zeigt deutlich: Es bestehen deutliche
Unsicherheiten im Umgang mit dem AGG und es fehlt an
Akzeptanz. Das war zwar zu erwarten – in der
Deutlichkeit aber dann doch überraschend.
Crosswater Systems:
Das neue AGG bringt nicht nur Licht, sondern
wirft auch einige Schatten. Welche Nachteile ergeben
sich für den Personaler, welche für den Bewerber? Wo
besteht noch Handlungs- und Klärungsbedarf?
Stollhoff: Die Nachteile überwiegen bisher leider. Sie liegen in
der weiteren Bürokratisierung der Bewerberprozesse sowie
in der bestehenden Rechtsunsicherheit. Außerdem wird aus
meiner Sicht auch der Bewerber benachteiligt. Er bewirbt
sich aufgrund neutraler Ausschreibungen nun auch auf
Stellen, für die er eigentlich von vorne herein gar
nicht in Frage kommt.
Vorteile sind schwer erkennbar. Natürlich ist die
Absicht einer absoluten Gleichbehandlung ein gutes und
edles Motiv. Der Gedanke der Gleichheit treibt die
Menschheit schließlich spätestens seit der französischen
Revolution an. Allerdings hat das AGG bisher eher für
Unsicherheit gesorgt als für mehr Gerechtigkeit und das
ist sicher nicht im Sinne des Erfinders.
Crosswater Systems:
Vielen Dank Frau Dr. Stollhoff für dieses Interview.
Über
StepStone Deutschland AG
1996 in Norwegen gegründet, ist StepStone heute eines
der erfolgreichsten e-Recruitment-Unternehmen Europas.
In Deutschland ist StepStone mit über 3,6 Millionen
Besuchen monatlich der am stärksten wachsende
Online-Stellenmarkt. Dabei liegt der Fokus stets auf
einer an optimalem Service und bester Qualität
orientierten Dienstleistung. Renommierte Kunden wie
Robert Bosch, ThyssenKrupp, die Deutsche Telekom oder
Siemens nutzen www.stepstone.de erfolgreich zur
Rekrutierung qualifizierter Fach- und Führungskräfte.
Durch das internationale StepStone „Network“ ist es
ihnen zudem möglich, in weltweit 60 Ländern neue
Mitarbeiter zu finden.
Der Geschäftsbereich StepStone Solutions stellt
Unternehmen softwarebasierte Lösungen und innovative
Technologien für eine effektive Personalarbeit zur
Verfügung. Zu den mehr als 600 Kunden, die weltweit auf
die Software-Lösungen von StepStone vertrauen, gehören
unter anderem Aral, Deloitte, die Europäische
Zentralbank, McDonald’s und Recaro Aircraft Seatings.
StepStone ist der einzige europäische Anbieter, der im
letzten Gartner Report (Magic Quadrant for E-Recruitment
Software, 2006) als ‚leader’ bewertet wurde.
Seit Ende 2004 ist die Axel Springer AG mit 49,9 Prozent
an der StepStone Deutschland AG beteiligt. In
Zusammenarbeit mit den Tageszeitungen DIE WELT,
HAMBURGER ABENDBLATT und BERLINER MORGENPOST sowie der
Wirtschaftszeitung EURO am Sonntag bietet StepStone
leistungsfähige Online/Print-Kombiprodukte für noch mehr
Reichweite und Qualität.
Weiterführende Links:
Das AGG: Einführung, Praxistipps und
Hintergrundinformationen
http://www.stepstone.de/ueberuns/default.cfm?link=agg
D.A.D.V. Deutscher Antidiskriminierungsverband
http://www.dadv.de/index.html
Das AGG in der Praxis – Erste
Erfahrungen. Ein Gastbeitrag von Dr. Susanne Stollhoff,
Group Legal Director, StepStone
http://www.crosswater-systems.com/ej_news_2006_10_22_agg_stollhoff.htm
StepStone Kariereportal
www.stepstone.de
Wikipedia: Das Allgemeine Gleichbehandlungs-Gesetz
http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Gleichbehandlungsgesetz
+++ Ein Presse-Service von Crosswater Systems Ltd.
zu den Themengebieten e-Recruiting, Jobbörsen,
Arbeitsmarkt, Personaldienstleistungen, Human Resources
Management. Die in den Firmen-Pressemitteilungen
vertretenen Meinungen müssen nicht notwendigerweise mit
der Redaktion von Crosswater Systems übereinstimmen +++
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