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Crosswater
Job Guide Markt+Meinung
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Trotz Bauernopfer:
Der Zick-Zack-Kurs der BA im
Projekt "Virtueller Arbeitsmarkt" wird fortgesetzt

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Edvard Munch: Der Schrei |
4. März 2004 (Eigenbericht (c) Crosswater Systems).
Der Aschermittwoch wird vielerorts zu lautstarken
Abrechnungen mit dem politischen Gegner benutzt, doch
der am 25. Februar 2004 von der Bundesanstalt für
Arbeit gemeldete Rauswurf ("mit sofortiger Wirkung von
seinen Aufgaben entbunden") des für den Virtuellen
Arbeitsmarkt zuständigen Projektleiters Jürgen Koch
ging wie ein Schrei durch die Medienlandschaft.
Am nächsten Tag war es der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung sogar die Titelmeldung auf der ersten Seite
("Korruptionsverdacht in der Bundesagentur für Arbeit
- Der virtuelle Arbeitsmarkt - Aufträge über 15
Millionen ohne Genehmigung erteilt") wert.
Bei näherem Hinsehen erscheint diese Personalie
eher ein Bauernopfer zu sein als eine
nachhaltige Besserung der inneren und äusseren
Zustände der Bundesagentur für Arbeit, deren Projekt
"Virtueller Arbeitsmarkt" einmal mehr in das
Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gezerrt wird.
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"Manche Kritik am Projekt ist ja auch
gerechtfertigt, solange sie sachlich vorgetragen
wird. Als ich das Projekt begonnen habe, war ich mir
wohl der Komplexität bewusst, nicht aber der
Schwierigkeiten, die auf uns eingestürmt sind."
Jürgen Koch im Interview mit dem "Kontakter" |
Der Schrei, der durch die Medienlandschaft geht,
entwickelt sich nach mittlerweile bekannten Mustern:
Zunächst gibt es wenig Fakten aber viel Vermutungen,
gefolgt von der obligatorischen Massenempörung über
höhere Kosten, geringere Leistungen, technischen
Mängeln oder Verschwendung von Steuergeldern. Dann
erhebt sich die rhetorische Frage, wer von den
Vorgängen eigentlich gewusst hätte, danach schliessen
sich Glaubensbekenntnisse der
Interessenvertreter-Gruppierungen gegenüber ihren
Vertretern an und sprechen den handelnden Personen ihr
obligatorisches Vertrauen aus. Schliesslich geht es
bei den Verantwortlichen dann um die Frage, wer wann
was gewußt hätte.
Die Fakten-Lage ist dünn, die Liste der
Vermutungen, Verdächtigungen und Versagens-Dementi ist
dafür um so länger.
Fakten:
Die Entwicklungskosten des Virtuellen
Arbeitsmarkts sind teurer als erwartet, budgetiert und
genehmigt.
Die Implementierung der VAM-Jobbörse hat
erhebliche Mängel und diese müssen dringen
nachgebessert werden.
Der lange angekündigte Termin der
Betriebsaufnahme am 1. Dezember 2003 wurde pünktlich
eingehalten.
Eine bei komplexen Großprojekten
durchaus übliche und notwendige Analyse des weiteren
Projektverlaufs bis zum Jahr 2008 haben Risiken im
Zeit- und Kosten-Verlauf zukünftiger Projektphasen
aufgezeigt.
Diese Risiko-Projektionen hat
BA-Vorstand Frank-Jürgen-Weise nun zum Anlass
genommen, den Projektleiter Jürgen Koch von seinen
Aufgaben mit sofortiger Wirkung zu entbinden.
Die Innenrevision der BA und der
Bundesrechnungshof untersuchen
gegenwärtig das Projekt, insbesondere auch die
Auftragsvergabe. Ergebnisse liegen zum jetzigen
Zeitpunkt noch nicht vor.
Vermutungen:
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"Im äusserten Fall war es
Korruption, es kann aber auch gar nichts dran sein".
Frank-J. Weise, Vorstandschef der BA.
Quelle: DIE WELT vom 28.2.2004 |
Es gäbe einen Verdacht auf Korruption
bei der Vergabe von Aufträgen.
Die BA-Innenrevision habe die
Staatsanwaltschaft aufgrund anonymer Hinweise
eingeschaltet, diese hätte die Ermittlungen allerdings
eingestellt, weil nicht ein Verdacht gegen eine
bestimmte Person formuliert werden könnte.
Einige Aufträge im Gesamtvolumen von 15
Millionen Euro seien nicht von der zuständigen
Vergabestelle genehmig worden.
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"Jürgen Koch könne kein
individuelles Fehlverhalten nachgesagt werden". Eine
Pressesprecherin der BA.
Quelle: TAZ - die tageszeitung. 28.2.2004. |
Amouröse Affairen:
In ihrer Online-Ausgabe schrieb die
SZ unter Berufung auf «Mitarbeiterkreise» von
«Gerüchten auf Behördenfluren, wonach sich bei der
Zusammenarbeit von Behörden- und
Accenture-Mitarbeitern auch private Verbindungen
ergeben hätten, was von den ins Gerede gekommenen
Personen aber dementiert würde».
Die Pressemitteilung von Accenture
bemerkt dazu trocken: «Wir werden alles tun, um im
Interesse von Accenture und der Bundesagentur für
Arbeit und zum Schutz der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter Verdächtigungen zu entkräften und die
Aufklärung zu unterstützen».
Maulwurf I: Ein hochrangiger Mitarbeiter der
Bundesagentur für Arbeit (BA) hat BA-Vorstand Heinrich
Alt in der Affäre um die Kostenexplosion bei der
Online-Jobbörse "Virtueller Arbeitsmarkt" schwer
belastet. "Im August 2003 wurde bekannt, dass die
Jobbörse 114,6 Mio. Euro kosten würde. Seit dem 27.
August 2003 ist aktenkundig, wer alles davon wusste.
Dazu zählt nicht nur Herr Alt", sagte der
BA-Mitarbeiter der Tageszeitung 'Die Welt'
(Samstagsausgabe). Der Mitarbeiter betonte aber: "Ich
sage nicht, dass Herrn Weise diese Zahlen bekannt
waren." Dem Blatt sind der Name und die Funktion des
BA-Mitarbeiters bekannt. Der leitende BA-Mitarbeiter
weiter: "Wir wussten von vornherein, dass die 65
Millionen Euro nur die Karosserie sind. Die Räder, das
Lenkrad, die Sitze, das muss alles noch rangebaut
werden. Das sollte aber alles erst im Feinkonzept
entstehen." Quelle:
de.internet.com
Maulwurf II: Aus der Ecke der Technik-Experten
stammen Informationen über die Leistungsfähigkeit des
"ELISE-Matching-Prozesses". Elise ist ein
Softwarepaket für Profiling und Matching, welches u.a.
auch von den staatlichen Arbeitsämtern in Belgien und
Großbritannien eingesetzt wird. Diese techniklastigen
Details dürften für externe Fachleute oder
Journalisten wahrscheinlich nicht ohne weiteres
zugänglich sein - die Informationsquelle wäre
vermutlich also innerhalb der BA zu suchen sein. Grund
genug für die PR-Kommunikatoren, diese Zusammenhänge
der breiten Öffentlichkeit in der Pressemitteilung vom
11. Februar 2004 zu erläutern und zu dementieren:
"Kein Problem mit ELISE".
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"Die ganzheitliche Betrachtung der
Dimensionen Strategie, Prozesse, Menschen und
Technologie sichert den Projekterfolg. Aus einer
Präsentation "Der Virtuelle Arbeitsmarkt". BA und Accenture vom 7.5.2003 |
Nebelkerzen: Gerne werden in der
Öffentlichkeit die technischen Grundlagen von
Jobsuchmaschinen und Jobbörsen durcheinander gebracht,
um dann in der Folge die unterschiedlichen Kosten für
solche Lösung in einen Topf zu werfen. So berichtet
das Magazin "Wirtschaftswoche" am 11. Februar 2004 im
Zusammenhang mit der Kostenexplosion beim
"Virtueller Arbeitsmarkt" (>>>mehr)
hartnäckig den Irrglauben, daß es kostengünstigere
Lösungsmöglichkeiten gäbe: "Billigere
Alternativen gibt es reichlich. So hätte zum Beispiel
der Jobroboter Wimmi, der vom Münchner Arbeitsamt
schon erfolgreich getestet wurde, für eine Miete von
ganzen 500.000 Euro im Jahr bundesweit eingesetzt
werden können". Tatsache ist jedoch, daß
Suchroboter nach semantischen Regeln arbeiten und
demzufolge eine unstrukturierte Trefferliste des
Suchroboters - und sei er noch so effizient - nicht in
eine präzis definierte Datenbank übertragen werden.
Ein datentechnischer GAU in den Datenbanken der
Jobbörse wäre die Folge.
Die Pressemitteilung der BA vom 25.2.2004:
Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat den
Leiter des Projektes Virtueller Arbeitsmarkt (VAM) mit
sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden.
Diese Entscheidung traf der BA-Vorstand aufgrund von
Ergebnissen einer Risikoanalyse des Projektes. Sie hat
ergeben, dass Kosten und Funktionsfähigkeit des
Projektes überprüft und dem Bedarf angepasst werden
müssen.
www.arbeitsagentur.de, das neue Internet-Portal
der BA, ist erfolgreich angelaufen und wird im
Hinblick auf die Nutzer-Wünsche weiter verbessert. Die
geplanten Erweiterungsstufen des Virtuellen
Arbeitsmarktes (VAM) werden verschoben. Das Präsidium
des Verwaltungsrates der BA wurde vom Vorstand heute
über den aktuellen Stand des Virtuellen Arbeitsmarktes
und die in diesem Zusammenhang getroffenen
Entscheidungen unterrichtet.
Der Vorstandsvorsitzende der BA, Frank-J. Weise,
hatte zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt, sämtliche
Aufgabenbereiche der BA einer schonungslosen
Bestandsaufnahme zu unterziehen. Die heute getroffene
Entscheidung im Hinblick auf den VAM ist ein erstes
Ergebnis dieser Bestandsaufnahme.
Der für das Projekt zuständige Vorstand Heinrich
Alt stellte fest, dass bei der Kostenentwicklung
Risiken bestehen. Nach einer Ausschreibung hatte das
Unternehmen Accenture im Februar 2003 den Zuschlag für
das Projekt mit einem Volumen von 65 Millionen Euro
bekommen. Neue Berechnungen ergeben, dass sich mit
bereits jetzt geplanten, zusätzlich notwendigen
Aufträgen ein Volumen von 125 Millionen Euro bis 2008
ergeben könnte. Dazu kommen weitere externe Kosten in
Höhe von rund 40 Millionen Euro, weil aufgrund des
höheren Datenaufkommens das interne Netz der BA
erweitert werden muss.
Die Innenrevision untersucht gegenwärtig das
gesamte Projekt „Virtueller Arbeitsmarkt“. Dabei wird
insbesondere geprüft, ob aus dem Projekt direkt
Aufträge an der dafür zuständigen Vergabestelle vorbei
vergeben wurden.
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Der Mohr kann gehen.
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Die Bundesagentur für Arbeit erweist
sich offenkundig als komplett reformresistent.
DIE WELT, 28.2.2004 |
Jürgen Koch hat sich als Projektleiter sicherlich
aufopferungsvoll um die Einführung des Virtuellen
Arbeitsmarktes gekümmert und sich mit den
Projektarbeiten manche Nacht um die Ohren geschlagen.
In zahllosen Präsentationen auf Personalmessen und
im kleineren Kreis war er ein kompetenter, eloquenter
Verfechter einer nachhaltigen Verbesserung der
Jobvermittlung im Aufbruch zum modernen e-Recruiting
und konnte rhetorisch geschickt die Anforderungen auf
den Punkt bringen.

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Jürgen Koch
Foto: ZDF |
Hin und wieder war er auch für ein Bonmot gut, und
seine Vorhersage "Dass alle kommerziellen Jobbörsen
beim VAM mitmachen - nur nicht schon zum Starttermin
am 1. Dezember" hatte nicht unbedingt viel Freude im
Lager der kommerziellen Jobbörsen hervorgerufen.
Als weithin sichtbare Galionsfigur des Virtuellen
Arbeitsmarkts hat er eher den Typus des
jugendlich-dynamischen Pragmatikers verkörpert als
einen biederen, bürokratischen Funktionär der
Arbeitslosenindustrie.
Bei der Umsetzung des Virtuellen Arbeitsmarkts
bediente sich die BA einer Reihe von externen
Unternehmen, die in ihrem angestammten Feld durchaus
zu den Besten ihres jeweiligen Spezialgebiets zählen.
So gilt beispielsweise HP nach ihrer Übernahme von TANDEM Computers
als einer der Pioniere von
Hochleistungsrechnern mit quasi "eingebauter"
Ausfallsicherheit, da alle kritischen Komponenten
(Hardware, Betriebssystem, Datenbank- und
Netzwerksoftware sowie Anwendungsprogramme) konsequent
redundant ausgelegt sind.
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"In der Tat sind die Leistungen
für die Unternehmen bei uns gebührenfrei. Aber das
ist keine Verzerrung des Wettbewerbs. Bisher sind
alle mit der Diesel-Lok gefahren. Jetzt steigt die
BA auf die E-Lok um und die Jobbörsen klagen
plötzlich über einen verzerrten Wettbewerb.
Dabei ist das doch nur ein Schritt zur Anpassung an
den Stand der Technik, der mit den Beiträgen der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert wird. Das
ist schließlich gesetzlich so gewollt". Heinrich
Alt, Vorstand der BA zum Vorwurf der
Wettbewerbsverzerrung. Quelle: Personalwirtschaft
10/2003 |
Und auch der Lieferant von "ELISE" gilt als
Kompetenzträger. ELISE ist eine "Matching-Engine",
also eine Software, die mittels automatischen
Profilierungs- und Abgleichverfahren die Grundlagen
für eine effiziente Vor-Vermittlungsauswahl sorgen
soll. Als Hersteller und Lieferant von ELISE hat WCC
BV (Went Computing Consultancy) aus den Niederlanden
eine Reihe von europäischen Arbeitsämtern unterstützt,
so z.B. das in der deutschen Presse oft als
Vorzeigemodell genannte britische Jobcenter.
Auch relevantes Know-How hat Koch zusätzlich zu den
im VAM-Projekt versammelten Generalunternehmer und
Sublieferanten eingebunden. Mit der Verpflichtung von
Professor Dr. Wolfgang Jäger von der Fachhochschule
Wiesbaden hat er einen renommierten Experten für
Jobbörsen quasi als persönlichen Trainer / Berater in
das Projekt eingebunden. Jäger hat sich über die
akademische Welt der Personalwirtschaft hinaus bei der
Konzeption der Unternehmens-Jobbörse "Jobstairs" einen
Namen gemacht.
Die vielleicht wichtigste Leistung aber hat Koch
mit der pünktlichen Betriebsaufnahme des Virtuellen
Arbeitsmarkts erreicht. Wer sich die Odyssee des
Toll-Collect-Projekts vor Augen führt, erkennt im
nachhinein, welches Waterloo Koch seinen Dienstherren
in der Vorstandsetage ersparte.
Ein anderer Projekterfolg, nämlich die
Konsolidierung der bisherigen zersplitterten und nicht
integrierten BA-Jobbörsen geht in der derzeitigen
Diskussion nahezu unter: In den zurückliegenden Jahren
hatte die BA für fast jede arbeitsmarktpolitische
Massnahme eiligst eine eigene Jobbörse entwickelt,
ohne die geforderte neue Funktionalität in die bereits
bestehenden Lösungen zu integrieren. Musterbeispiel
für diese Vorgehensweise ist die Jobbörse "JOB", die
die weitere Flexibilisierung ("Minijobs") nach dem
JOB-AQTIV-Gesetz ermöglichen sollte.
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Mit dem Virtuellen Arbeitsmarkt kommt alles unter
ein Dach: das bisherige Online-Jobbörsen-Sortiment
der Bundesagentur für Arbeit |
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Arbeitgeber-Informations-Service |
Ausbildungs-Stellen-Informationsservice |
Vermittlungsbörse für Firmennachfolger,
Kooperationen und Existenzgründer |
Bewerberbörse für Ingenierinnen und Ingenieure |
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Vermittlungsbörse für IT-Fachkräfte Green Card |
JOB-Vermittlungsbörse Nebenbeschäftigungen |
Künstlerdienste |
Managementvermittlung |
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Praktikumsbörse |
Stellen-Informations-Service |
Zentrale Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung |
Zentrale u. Internationale Management- u.
Fachvermittlung für Gaststättenpersonal |
Alle Kritikpunkte von langsamen Antwortzeiten,
sinnlosen Suchergebnissen, Lücken im Funktionsumfang
oder Qualitätsproblemen bei den Datenbeständen - diese
Hausaufgaben können und werden (hoffentlich) in
absehbarer Zeit bereinigt werden.
Das alles ist nun für Jürgen Koch zu Ende. Ohne die
Ergebnisse der angekündigten Innenrevisions-Prüfung
über Auftragsvergaben im VAM-Projekt abzuwarten, ist
in Nürnberg schon über ein personelles Bauernopfer
entschieden worden.
Geburtsfehler: "BEA inside"

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VAM-Jobportal: Erste Hilfe für Bea
Foto: Crosswater Systems |
Die Realisierung des Projekts "Virtueller
Arbeitsmarkt" litt insbesondere am schwierigen Umfeld
und vielen fehlenden Voraussetzungen -
Rahmenbedingungen, für die eigentlich die
Vorstandsetage in der Nürnberger Regensburger Strasse
verantwortlich gewesen wäre.
Der politisch motivierte Zwang, gute Nachrichten
vom Arbeitsmarkt und dem Hartz-Reformkurs zu
produzieren, lieferte manche Steilvorlage, die Koch
und sein Team einfach nicht erreichen konnte.
So wurde fast gebetsmühlenartig wiederholt, wieviel
Geld eingespart werden könne, wenn man nur endlich die
Dauer der Arbeitslosenvermittlung verkürzen könne.
Sachlich nicht gerechtfertigten Vorschusslorbeeren
des Virtuellen Arbeitsmarktes als allein selig
machende Lösung des Arbeitslosen- und
Vermittlungsproblems wurden schon in den Empfehlungen
der Hartz-Kommission ("Wir haben die Bibel des
Arbeitsmarkts geschrieben") postuliert.
Nicht zuletzt fehlt immer noch eine
wirtschafts- und ordnungspolitisch verträgliche Konzeption, wie die
staatlich-monopolistische Bundesagentur für Arbeit in
Kooperation und im Einklang mit den
privatwirtschaftlichen Interessen anderer
Arbeitsmarktteilnehmer existieren soll.
Projektsteuerung ohne Gremium?
Als Jürgen Koch im Juni 2003 in einer
Informationsveranstaltung zum Virtuellen Arbeitsmarkt
auch die Gesamt-Projektorganisation vorstellte, war
ersichtlich, dass zahlreiche Anforderungen des
technisch-politischen Umfelds berücksichtigt wurden.
Dem Projektleitungs-Trio Jürgen Koch (Bundesagentur
für Arbeit) und Stefan Schneider sowie Michael Pitsch
von Accenture stellte man ein mehrköpfiges Projektbüro
zur Seite, um die vielfältigen administrativen und
koordinierten Aufgaben zu erledigen.
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"Manche Kritik am Projekt ist ja auch
gerechtfertigt, solange sie sachlich vorgetragen
wird. Als ich das Projekt begonnen habe, war ich mir
wohl der Komplexität bewusst, nicht aber der
Schwierigkeiten, die auf uns eingestürmt sind."
Jürgen Koch im Interview mit dem "Kontakter" |
Spezielle Projekt-Teams für Marketing, fachliche
Architektur, technische Architektur, Content
Development und Qualitätssicherung machten deutlich,
dass man sich der technischen und politischen
Herausforderungen durchaus bewusst war.
Doch im Gegensatz zu vielen privatwirtschaftlichen
Grossprojekten war beim VAM-Projekt nicht ersichtlich,
dass ein Projektsteuerungsgremium existierte, in dem
sowohl der Vorstand der BA oder auch Vertreter der
externen Arbeitsmarktteilnehmer (Arbeitgeber,
Personalvermittler, kommerzielle Jobbörsen) vertreten
waren, um auch deren Anforderungen mit einzubringen.
Dieser Mangel führte letztlich zu einem
Kommunikationsstillstand zwischen Jobbörsen und der
Bundesagentur - die wirtschafts- und
ordnungspolitischen Diskussionen wurden fortan in der
Öffentlichkeit ausgetragen.
Aber noch schwerwiegender erscheint im Nachhinein
die offensichtlich fehlende formale Einbindung des
Vorstands in das Projektsteuerungsgremium - Hinweise
und vermeintliche Entschuldigungen durch "Nichtwissen"
sind jetzt auf der politischen Ebene an der
Tagesordnung.
Eisberg-Syndrom
Die Budget- und Kostenfragen rund um den Virtuellen
Arbeitsmarkt verunsicherte die Öffentlichkeit und
führte zu einer widersprüchlichen Folge von
Ankündigungen und Dementis. Ein eklatanter
Fehler in der Kostendarstellung war es, nahezu alle
notwendigen IT-Projektmassnahmen der BA dem Virtuellen
Arbeitsmarkt zuzuordnen. Der sichtbare Anteil des VAM,
die Ablösung des Stellen-Informations-Systems mit
einem neuen Jobportal, wäre schon optisch teuer genug
geworden.
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"Ich fühle mich von Alt verarscht".
BA-Verwaltungsrat Stephan Götzl,
Hauptgeschäftsführer der bayerischen
Metall-Unternehmen, habe mehrfach von Alt
Informationen über die Kosten zur Online-Jobbörse
erbeten. Eine klare Auskunft sei Alt schuldig
geblieben. Götzl: "Für mich stellt sich die Frage
nach seiner Verantwortung". Quelle: Christoph B.
Schiltz, Berliner Morgenpost 28.2.2004 |
Nun packte die BA auch die enormen Kosten der
Ablösung der internen Vermittlungssysteme - die
ebenfalls dringend modernisiert werden mussten -
optisch zu den Kosten des virtuellen Arbeitsmarkts
drauf: weitere
externe Kosten in Höhe von rund 40 Millionen Euro
würden für eine Erweiterung des internen
Telekommunikations-Netz der BA aufgrund des höheren
Datenaufkommens investiert. Milliarden von
alten Datensätzen in unterschiedlichen Formaten
müssten übernommen werden.
Diese Kosten der Ablösung der überalterten Systeme der BA haben mit dem eigentlichen
Jobbörsen-Portal wenig oder gar nichts
zu tun. Aber in der breiten Öffentlichkeit
werden diese Millionen-Kosten mit dem sichtbaren
Teil der VAM-Jobbörse ("BEA inside") assoziiert. Wie
bei einem Eisberg ist bekanntlich nur ein geringer
Teil sichtbar über Wasser (d.h. das Jobportal),
während weite Teile des Gesamtprojektumfangs für die
Öffentlichkeit unsichtbar und im allgemeinen nicht
nachvollziehbar sind.
Rückkehr zur fränkischen Rechentradition

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Adam Riese, Oberfranke,
Mathematiker und Begründer der "Rechenschule auf der
Linie" |
Der oberfränkische mittelalterliche Mathematiker
Adam Riese (1492-1559) würde sich vermutlich im Grab
umdrehen, wenn er das Spiel der Zahlen-Jongleure aus
der BA und in den Medien erfahren würde.
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"Wenn
man erst zu rechnen anfängt, wenn das Controlling
kommt, dann ist es zu spät". Frank-Jürgen Weise,
Vorstandschef der BA.
Tagesschau.de vom 1.3.2004 |
Die aus der Nürnberger Zentrale veröffentlichen
Zahlen lassen Erinnerungen an den
Jagoda-Statistik-Skandal wieder aufleben.
Schätzungen in den Medien, verbunden mit der
Wiedergabe von sachlich inkorrekten Zusammenhängen
machen das Verwirrspiel letztlich zu einer Posse.
Von der Selbstverpflichtung zur Transparenz kann
keine Rede sein, wenn man die vielen Beträge sich vor
Augen führt, die im Zusammenhang mit dem VAM-Projekt
genannt werden (siehe untenstehende Tabelle).
Mio Euro |
Bechreibung |
0,3 |
Kostenanteil des Arbeitsamt München für den
Pilotbetrieb des Jobroboters "Wimmi" |
1,5 |
Gesamte Entwicklungskosten für den
Pilotbetrieb des Jobroboters "Wimmi" beim
Arbeitsamt München |
10 |
geplante Kosten des Jobroboters
financialbot.com der Projektphase 1 |
12 |
Tatsächliche Kosten des VAM-Internet-Portals
lt. Aussagen von Accenture (Holger Bill) |
14 |
Schätzung der restlichen Arbeiten der
Projektphase 1 des VAM (Stand Sommer 2003) |
15 |
Schätzung für die Entwicklung des Webportals
(Stand Sommer 2003) |
15 |
erwartete Kosten des Jobroboters der
Projektphase 1 |
15 |
vermutete Höhe der erteilten Projektaufträge
ohne Genehmigung durch die BA-Vergabestelle |
16 |
geplante Kosten für den
Rechenzentrumsbetrieb des VAM Systems |
20 |
Kostensteigerung der VAM-Projektphase 1
(Stand Dezember 2003) |
20 |
Budget für Öffentlichkeitsarbeit zugunsten
des VAM-Projekts |
20 |
geschätzte Kosten für eine Neuentwicklung
der jobpilot-Jobbörse lt. Christopher Funk
(Geschäftsführer jobpilot) |
35 |
ursprünglicher Kostenrahmen des ersten
Angebots von Accenture zur Ausschreibung des
VAM |
40 |
geplante Kosten für die Anbindung der
BA-PC-Systeme an das Jobportal |
40 |
erwartete Kosten für den Ausbau des
BA-Kommunikations-Netzes für Telefon und
Daten |
40 |
erwartete Kosten für den
Rechenzentrumsbetrieb des VAM Systems |
44 |
Bereits bezahlte Kosten für die
Beratungsgesellschaft Accenture |
48 |
Schätzung Projektphase 2 des VAM:
Bewerbermanagement und Ablösung des
BA-internen Vermittlungssystems (VerBIS) |
51,6 |
Meldung über den Gesamt-Mehrbedarf des
VAM-Projekts vom BA-Geschäftsbereich IT an
Vorstand Weise (September 2003) |
57,5 |
nachträglich geschätzter Kostenrahmen von
Accenture für die Realisierung des VAM |
65,5 |
vertraglich vereinbarter Kostenrahmen von
Accenture für die Realisierung des VAM |
71 |
erwartete Kosten für die Anbindung der
BA-PC-Systeme an das Jobportal |
97 |
Kostenschätzung vom Dezember 2003 für die
Realisierung des VAM |
100 |
Kostenschätzung vom 11. Februar 2004 für die
Realisierung des VAM |
108,1 |
Schätzung der Gesamtkosten vom September
2003 |
114,6 |
geschätzte Kosten des VAM (27. August 2003) |
115 |
Vertraglich vereinbarte Kosten für die
Beratungsgesellschaft Accenture |
165 |
Kostenschätzung vom 25. Februar 2004 für die
Realisierung des VAM |
Kostenexplosion - Schuldenexplosion
Die Pressemitteilung der BA vom 11. Februar
2004:
Keine Kostenexplosion beim Virtuellen
Arbeitsmarkt.
Aus Anlass entsprechender Medienberichte stellt
die Bundesagentur für Arbeit (BA) noch einmal
klar, dass es bei der Umsetzung des „Virtuellen
Arbeitsmarktes“ (VAM) keine Kostenexplosion gibt.
Die Kosten für den ursprünglichen Vertrag mit der
Firma accenture belaufen sich auf 65,5 Millionen
Euro. Die in diesem Vertrag fixierten Leistungen
werden auch zu diesem Preis erbracht. Die mehrfach
in Medienberichten als ursprünglicher Kostenrahmen
erwähnten 35 Millionen Euro stammen aus einem
ersten Angebot der Firma accenture, das allerdings
nicht für die Vergabeentscheidung bewertet wurde,
da diesem Angebot falsche Voraussetzungen zugrunde
lagen.
Darüber hinaus haben sich bei der Umsetzung des
Projektes von verschiedenen Seiten zusätzliche
Anforderungen ergeben. So war im ursprünglichen
Auftrag eine Nutzerfrequenz von rund 500.000
Besuchern täglich vorgesehen. Diese musste wegen
der guten Inanspruchnahme des neuen Angebotes
„arbeitsagentur.de“ fast verdoppelt werden. Die
hohe Nutzerfrequenz führte u.a. zu 31.000 neuen,
von Arbeitgebern selbst eingegebenen
Stellenangeboten nach zwei Monaten Betrieb des
Systems. Zusätzlich wurde auch ein Jobroboter
installiert, mit dem ausschließlich die
Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit das Internet
nach zusätzlichen Stellen durchsuchen können. Mit
dem Jobroboter wird also das Angebotspotenzial der
Vermittler erhöht, um Arbeitgebern nach
qualifizierter Vorauswahl geeignete Bewerber
vorzuschlagen. Diese und andere bereits
realisierte Zusatzanforderungen ergeben einen
weiteren Finanzbedarf von gut zwölf Millionen
Euro.
Außerdem gibt es bereits jetzt neue
Erweiterungswünsche mit einem Volumen von etwa 22
Millionen Euro. Bevor die BA diese weiteren
Anforderungen in Auftrag gibt, wird überprüft, ob
sie wirtschaftlich und zielführend im Hinblick auf
eine Beschleunigung der Ausgleichsprozesse am
Arbeitsmarkt umzusetzen sind. So könnte sich ein
Gesamtvolumen von rund 100 Millionen Euro ergeben.
Die BA weist ausdrücklich nochmals darauf hin,
dass nur ein geringer Teil der Kosten auf die am
1. Dezember gestartete Online-Jobbörse entfällt.
Den größeren Anteil macht die Ablösung der
internen Vermittlungs- und Beratungssysteme aus,
die seit Mitte der 80er Jahre im Einsatz sind und
auch nach Auffassung des Bundesrechnungshofes
dringend modernisiert werden müssen. Es gilt, 2,1
Milliarden Datensätze ohne Datenverlust zu
migrieren – ein in Deutschland in dieser
Größenordnung einmaliges Projektvorhaben.
Kritisiert wird auch, dass es zum eingesetzten
Jobroboter preiswertere Alternativen gebe. Das ist
falsch. Ein bei der BA eingereichtes inhaltlich
bedingt vergleichbares Angebot war wesentlich
teurer als der jetzt eingesetzte Jobroboter.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Algorithmus,
der dem VAM zugrunde liegt. Der Algorithmus
„Elise“ werde zwar in Belgien erfolgreich
eingesetzt, sei für Deutschland aber zu klein.
Nicht erwähnt wird dabei allerdings, dass derselbe
Algorithmus erfolgreich in Großbritannien
eingesetzt wird. Die britischen Anforderungen sind
durchaus mit den Erfordernissen in Deutschland zu
vergleichen. Daher muss der Algorithmus weder
ausgetauscht noch umgeschrieben werden. Sollte es
zu längeren Antwortzeiten kommen, so liegt das
nicht am Algorithmus, sondern an der
Verschlüsselung des Portals. Daran wird derzeit
gearbeitet. Durchschnittlich liegen die
Antwortzeiten im Moment bei 1,72 Sekunden. Die
Systemverfügbarkeit beträgt 99,85 Prozent.
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Wenn in den Presseberichten fast immer von
einer "Kostenexplosion" gesprochen wird, so ist das
nicht die ganze Wahrheit. Tatsache ist, dass die
Kosten des VAM-Projektes
nicht komplett aus den BA-eigenen Einnahmen
(Arbeitslosen-Beiträge usw.) finanziert werden, sondern
ein erheblicher Teil der BA-Ausgaben durch einen Zuschuss des Bundes - also über den Umweg von
Haushaltsdefiziten und damit höherer Staatsverschuldung gedeckt wird.
Der ehemalige BA-Chef Gerster erläuterte das in
einem Interview mit der Wirtschaftswoche vom 25.9.2003
so:
"Wirtschaftswoche: Finanzminister Hans Eichel will
Ihnen den Zuschuss des Bundes im nächsten Jahr auf 5,2
Milliarden Euro deckeln." Gerster: "Ein Blick in das
Gesetz erleichtert das Rechtsverständnis. Es gibt eine
Defizithaftung des Bundes - da kann Herr Eichel gar
nichts deckeln. Wenn die Konjunktur anders verläuft,
als bei der Haushaltsaufstellung angenommen, muss der
Bund das fehlende Geld zuschießen. In diesem Jahr sind
das zwischen 6,5 und 7,5 Milliarden Euro. Aber dafür
kann die BA nichts; das hängt ausschließlich damit
zusammen, dass durch die steigende Arbeitslosigkeit
hunderttausende Beitragszahler zusätzlich ausgefallen
sind und sich die Leistungsausgaben erhöht haben".
[Quelle: Wirtschaftswoche 25.9.2003]
Die üblichen Rechtfertigungen: Die Ampel stand
immer auf grün
|
"Sorge für die rasche Behebung des Symptons, nicht des Problems, denn nichts lenkt
besser ab als eine schnelle Aktion an der falschen
Stelle."
Alte Management-Weisheit, wiedergegeben von Reinhard
Sprenger. |
In den Tagen zwischen Rauswurf des Projektleiters
und der öffentlichen Kritik, die mit der Anhörung des
BA-Vorstands vor dem Wirtschaftsausschuss des
Bundestags zur Sprache kam, lagen die üblichen
Rechtfertigungen.
BA-Vorstand Frank-Jürgen Weise
erläuterte vor der Presse die Kostensteigerungen: "Im
September 2003 wurde ermittelt, wieviel Kosten
zuzurechnen sind. Das waren 98 Millionen Euro. Davon
sind 77 Millionen als vergeben zu sehen, und weitere
100 Millionen sind als eine Kostenprojektion des VAM-Projekts bis zum Jahr 2008 zu verstehen."
Zu den
Meldungen über die ersten Kostensteigerungen im August
/ September 2003 führte er aus, daß "diese nicht durch
meine Hand gegangen waren. Ein Haushaltsvermerk wird
in der Regel nicht beachtet. Als Folge dieser
Kostenschätzung hat die BA einen externen
Projekt-Controller eingestellt, der dann ein
monatliches Berichtssystem nach dem Ampelsystem
erstellte - und diese stand immer auf grün".
Als
Minister Clement als oberste Dienstaufsicht der BA
dann vor die Mikrofone trat, fasste er seine
Erkenntnisse zusammen: "Alle Unklarheiten sind jetzt
beseitigt. Der Reformkurs der BA geht ohne Abstrich
erfolgreich weiter. Herr Alt hat mein Vertrauen, das
reicht". Zur Informationspolitik der BA führte er aus:
"Herr Weise und Herr Alt haben vor dem
Wirtschaftsausschuss Rede und Antwort gestanden und
damit bin ich zufrieden. Alle Irritationen sind nach
meiner oberflächlichen Kenntnis der Zusammenhänge beseitigt."
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"Es ist in höchstem Maße ärgerlich,
und vom Ergebnis her nicht akzeptabel, daß der
Verwaltungsrat bis zum 11. Februar völlig falsch
informiert wurde und über eine Pressemitteilung
erfahren hat, daß mit Kosten von 100 Millionen
gerechnet wird". Peter Clever, Verwaltungsrat der BA
in einem Gespräch mit der FAZ. 27.2.2004 |
Und er
schob gleich noch den schwarzen Peter weiter an die
Presse: "Die Skandalisierung der Vorgänge in der BA,
wie sie aus einigen Reihen betrieben wird, muss
endlich aufhören. Wenn Sie, meine Damen und Herren von
der Presse, morgen die BA positiv darstellen, bin ich
zufrieden". Und auch der Bundestagsabgeordnete Laumann (CDU) gab
dann seine Einschätzung zu Protokoll: "35 Millionen,
65 Millionen und dann 165 Millionen - diese
Kostensteigerungen zeigen, dass dar Virtuelle
Arbeitsmarkt verkehrt justiert ist. Es geht jetzt darum
festzustellen, was reparierbar ist. Die Phase II des VAM-Projekts kann nicht beurteilt werden. Der
Bundesrechnungshof sollte - trotz Arbeitsüberlastung -
seine Prüfung des VAM rasch zu Ende führen und in dem
Bericht ein klares Signal setzen." Und dann wies
Laumann auch auf das politisches Ritual hin: "Letztlich
geht es darum, wie die Bundesregierung mit dem
Parlament und der Rechtsaufsicht umgeht".
Auf die Frage der Verantwortlichkeit angesprochen,
führte Laumann aus: "Es gibt keine Vorverurteilung".
Der ehemalige VAM-Projektleiter Jürgen Koch wird sich ob
dieser Worte sicherlich freuen. Er hat seine Pflicht
erfüllt und die zukünftige Kostenprojektion bis zum
Jahre 2008 gerechnet - und dafür musste er letztlich
gehen.
Das Versagen der Frühwarnsysteme und Kontrollen
Die jüngste Affäre um die Kostenexplosion des VAM
macht deutlich, dass trotz einschlägiger Erfahrung mit
den Beratungsauftragsaffären unter Florian Gerster die
BA keine ausreichenden Frühwarnsysteme und
Kontrollmechanismen nutzt.
- Projektsteuerung: Auf diesen Mangel haben
wir schon oben hingewiesen.
- Externes Projekt-Controlling: Trotz
Einsatz eines externen Controllers für die
Überwachung des Projekts sind die Erkenntnisse über
Risiken und Nebenwirkungen hinsichtlich der
Kostenentwicklung nicht über eine zu optimistische
grüne Ampel-Darstellung hinausgekommen.
- Auftragsvergabe: Die Mängel der
lückenlosen Kontrolle der Ausschreibungs- und
Auftragsvergaben sind schon unter Florian Gerster
Legende geworden - offensichtlich können Aufträge
immer noch ausserhalb der geltenden Vorschriften
erteilt werden, wie die BA in einer Pressemitteilung
ausführt.
- Auftragsbestätigungen: Üblicherweise
werden erteilte Aufträge vom Auftragnehmer
schriftlich bestätigt, um etwaige Probleme in der
Auftragsabwicklung zu vermeiden. Bei Accenture sind
die BA-Aufträge im Zusammenhang mit dem VAM durch
einen speziellen Beratungs-Bereich ("Öffentliche
Hand") abgewickelt worden. Es ist schwerlich
vorstellbar, dass die auf dieses Kundensegment
spezialisierte Beratungs-Abteilung nicht mit den
Ausschreibungsregeln und Auftragserteilungsverfahren
im Öffentlichen Dienst vertraut wäre.
- Rechnungskontrolle: Auch wenn irregulär
erteilte Aufträge durchgeführt werden, wird der
Auftragnehmer seine erbrachten Leistungen
fakturieren. Beim Rechnungseingang erfolgt
überlicherweise in der Finanzbuchhaltung eines
privatwirtschaftlichen Unternehmens eine formale und
sachliche Prüfung der Rechnung, insbesondere die
Zuordnung auf einen erteilten Auftrag, die
dazugehörende Kostenstelle oder das verursachende
Projekt. Diese Prüfungen erfolgen routinemässig
ausserhalb des administrativen Projektbüros durch
das interne Finanz-Controlling. Weshalb sich die BA,
die doch gerne wie ein Unternehmen und nicht wie
eine Behörde geführt werden will, auf diese
pragmatischen Prüfungen anscheinend verzichtet hat,
ist unklar.
- Innenrevision: Die Gerster-Berateraffäre
hat zur Folge gehabt, dass die Innenrevision der BA
alle Berateraufträge unter die Lupe genommen hat. Ob
diese Prüfung auch zweckmässigerweise auf die
VAM-Aufträge (Beratungsaufträge,
Dienstleistungsaufräge) ausgedehnt wurden, ist in
der Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar.
- Verwaltungsrat: Der vielköpfig besetzte
Verwaltungsrat der BA hält sich in der VAM-Affäre
mit intensiven Aufsichtsmassnahmen zurück - nach
aussen dringen lediglich achselzuckende Äusserungen,
dass man ja Kontrollberichte und Kostenaufstellungen
zum VAM routinemässig angefordert habe. Aber leider
hat der Vorstand der BA diese nicht geliefert.
- Rechtsaufsicht durch das
Bundeswirtschaftsministerium: Die formale Dienst-
und Rechtsaufsicht der Bundesagentur für Arbeit ist
dem Bundeswirtschaftsministerium unter Wolfgang
Clement zugeordnet. Eine für die Öffentlichkeit
erkennbare Kontrolle und Ausübung der Rechtsaufsicht
findet offensichtlich nicht statt.
- Bundesrechnungshof: Bundesminister
Clement und der Wirtschaftsausschuss des Bundestages
haben nach der Sitzung mit dem BA-Vorstand den
Bundesrechnungshof quasi als "Mister Proper" für die
Prüfung der VAM-Kostenexplosion ins Spiel gebracht -
nur dieser ist hoffnungslos überlastet, wie der
Berliner Kurier meldet. "Die unendliche
Maut-Geschichte – sie bringt nun auch noch
Deutschlands Behörden durcheinander. Der
Bundesrechnungshof kann der Kostenexplosion bei der
Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA)
nicht auf den Grund gehen. Schuld daran ist die
Maut, die derzeit überprüft wird. "Es gibt nur
begrenzte Personalkapazitäten. Wir müssen
Prioritäten setzen", macht ein Sprecher klar. Der
Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Arbeit hatte
als Konsequenz aus dem Finanzskandal in der BA , wo
für Jobbörsen 165 statt 65 Millionen Euro verpulvert
werden, den Rechnungshof angerufen."
Wie es weiter geht...
|
"Jetzt muss die BA eine
Grundsatzentscheidung treffen und gegebenenfalls
auch den Mut aufbringen, das bisherige Modell
komplett aufzugeben. Christoph Beck, Professor an
der Fachhochschule Koblenz und Experte für elektronische
Personalbeschaffung /
e-Recruiting. WELT, 27.2.2004 |
Zurück zur Tagesordnung. Der Sturm ist abgeebbt,
die Wüstenkarawane der Medien zieht weiter zum
nächsten Thema. Der Stop des Virtuellen Arbeitsmarkt
verschafft den Beteiligten erst einmal Zeit zum
Nachdenken, wie es denn weiter gehen könnte.
Für die
Ablösung der überalterten und kaum integrierten IT-Systeme der BA gibt es so gut wie keine
Alternativen, ein Projekt-Moratorium bringt auch keine
Verjüngungskur. Deshalb werden wohl oder übel Kosten in
ähnlicher Höhe auf die BA zukommen. Ob ein Wechsel des
General-Unternehmens Accenture Sinn macht, kann nur
die Taktik und Psychologie beurteilen. Vermutlich ist
die Vertragslage bei einer möglichen Auflösung
rechtlich äusserst unklar.
In Nürnberg hat sich Frank-Jürgen
Weise eines alten Bekannten aus gemeinsamen Tagen bei Microlog Logistics AG erinnert und mit Carsten
Heller (33) einen neuen Leiter "Marketing und
Strategische PR"
eingestellt. Ein weiteres Revirement im Bereich der
Öffentlichkeitsarbeit führt dazu, dass Heike Arend die
Leitung der Kommunikationsabteilung seit dem 1. März
übernommen hat. Heller berichtet an Arend. Die
bisherige Pressesprecherin Bettina Schmidt gibt diese
Aufgabe ab, verbleibt allerdings als Leitering "Medien
und Information" bei der BA. Neue Pressesprecherin
wird Ingrid Kortmeyer-Pohl. Frank-Jürgen Weise
begründet den Personalaustausch so: "Der Grund liegt
in dem besonderen persönlichen Verhältnis, das
zwischen Pressesprecher und Vorstandsvorsitzendem
bestehen muss".
Die Mitarbeiter der BA müssen weiterhin
zähneknirschend die demotivierenden Meldungen
hinnehmen und die internen Reformprozesse nach den
Vorgaben der externen Berater-Gurus in hohem Tempo und an allen
Ecken und Enden umsetzen.
Doch einen positiven Nebeneffekt hat diese
VAM-Affäre schon jetzt gebracht: Die BA kann
höchstwahrscheinlich die im Haushaltsplan 2004 für die
Öffentlichkeitsarbeit des VAM vorgesehenen 20
Millionen Euro ersatzlos streichen. Eine intensivere
Berichterstattung über den Virtuellen Arbeitsmarkt
hätte sich vermutlich nicht einmal der
Kommunikationsexperte und ehemaliger BA-Berater
Schiphorst ausdenken können.
Doch wer angesichts der
Kostenexplosion gedacht hätte, dass beim
Ausgabenverhalten eine neue Bescheidenheit einträge,
hat sich vielleicht zu früh gefreut.: Das
Bundeswirtschaftsministerium lässt jetzt das Image der
Behörde untersuchen. Am 17. Februar 2004 vergab die
Clement-Behörde den Auftrag für eine "Studie zur "Aktzeptanz
der Bundesagentur" in der Bevölkerung an das Bonner
Institut für angwandte Sozialwissenschaft (infas). Die
Kosten der Studie sollen 835.000 Euro betragen.
Kommentierte der CDU-Wirtschaftsexperte Schauerte:
"Das Ministerium will sich offensichtlich bestätigen
lassen, was sowieso jeder weiß: dass das Image der BA
total im Eimer ist."
Weiterführende Berichte und Links |
- Korruptionsverdacht in der Bundesagentur für
Arbeit. Frankfurter Allgemeine Zeitung.
27.2.2004.
- Niebel: BA vermittelt Anschein eines
Selbstbedienungsladens.
Liberale.de
- Bundesagentur erwägt neue Ausschreibung des
Online-Angebots.
Spiegel-Online 28.2.2004
- Bundesanstalt: Die Zukunft des Virtuellen
Arbeitsmarkts ist ungewiss.
Stern Online 28.2.2004
- Bundesanstalt: Ermittlung wegen Korruption.
Stern Online 27. Februar 2004
- Bundesagentur für Arbeit - ein
Millionengrab?
Stern Online 27. Februar 2004
- Online-Jobbörse: Hochrangiger Mitarbeiter
belastet BA-Vorstand Alt. Vorstand soll
frühzeitig von Koksten explosion gewußt haben.
de.internet.com Online vom 28.2.2004
- Online-Jobbörse: Hochrangiger Mitarbeiter
belastet BA-Vorstand Alt - Vorstand soll
frühzeitig von Kostenexplosion gewußt haben (Die
WELT vom 28.2.2004)
- "Ich fühle mich von Alt verarscht". Christoph
B. Schiltz in der
Berliner Morgenpost 28.2.2004
- Verloren in Virtuellen Welten - Traurig aber
wahr:
In der Bundesangentur für Arbeit regieren immer
noch Größenwahn und Inkompetenz.
Süddeutsche Zeitung vom 27. Februar 2004.
- Weiterentwicklung des Virtuellen
Arbeitsmarkts gestoppt.
Personal-Magazin.
- "Aus die Maus: Nach der Maut noch eine
Technik-Blamage: Die Internet-Jobvermittlung der
Bundesagentur für Arbeit wird gestoppt. Denn sie
ist viel zu teuer und viel zu schlecht.
Constantin Gillies. Die WELT vom 27. Februar
2004.
- Was wusste Weise? Und was Vorstandskollege
Alt? Wegen explodierender Kosten und
Untreue-Vorwürfen beim "virtuellen Arbeitsmarkt"
muss die Spitze der Bundesagentur für Arbeit vor
den Wirtschaftsausschuss. Auch die Staatsanwalt
ermittelt. Christoph B. Schiltz. Die WELT 28.
Februar 2004.
- Wie aus 35 Millionen 165 Millionen wurden.
Guido Heinen. Die Welt 28. Februar 2004.
- Nicht einmal halbwegs konkurrenzfähig.
Constantin Gillies. Die Welt, 28. Februar 2004.
- Neuer Skandal erschüttert Bundesagentur.
Auftragsvergabe nach Stopp der Internet-Jobbörse
erneut im Zwielicht. Union setzt Clement unter
Druck. Birgit Marschall. Financial Times
Deutschland 27. Februar 2004.
- BA-Chef entlastet Vorstandsmitglied Alt.
Handelsblatt 28. Februar 2004.
- BA-Chef Weise belastet Vorstandskollegen.
Machtkampf in der Bundesagentur.
Financial Times Deutschland vom 2. März 2004
-
Ich bin kein Hartzist. Interview mit dem
damaligen BA-Chef Florian Gerster.
Wirtschaftswoche vom 25.9. 2003.
-
Viel zu viele Pannen: Rechnungshof ist völlig
überlastet.
Berliner Kurier
-
Attestierter Dilettantismus:
835.000 Euro für neue
Image-Studie der BA
N24
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