Crosswater Job Guide
Pressestimmen

 

 

 

 

Sex für Text und Bimbes von der BA:
Wie neue Teilnehmer am Virtuellen Arbeitsmarkt gewonnen werden sollen und wie die BA immer mehr in den Mittelpunkt einer politischen Grundsatzdebatte gerät.

 

Bertolt Brecht:
Macho, Marketeer und Millionär

Und der Haifisch, der hat Zähne
Und die trägt er im Gesicht
Und Macheath, der hat ein Messer
Doch das Messer sieht man nicht


(Die Moritat von Mackie Messer
aus der Dreigroschenoper)

 

Bertolt Brechts "Drei-Groschen-Oper" gilt als literarische Umsetzung des Raubtier-Kapitalismus. Eine Oper für Bettler, nennt der Ausrufer zu Beginn das Drama, "so prunkvoll gedacht, wie nur Bettler sie erträumen und so billig, dass Bettler sie bezahlen können" - für drei Groschen eben.

Die derzeitige öffentliche Diskussion um das Ausgabenverhalten der Bundesanstalt für Arbeit im Vorfeld des Reformprojekts "Virtueller Arbeitsmarkt" erinnert an die literarische Steilvorlage - erlebt Mackie Messers Haifisch-Symbolik in Nürnberg eine Wiedergeburt? Liefert die BA-Publicity-Affäre ein Schmierenstück des Behördenkapitalismus, so prunkvoll gedacht wie nur Arbeitslose sie erträumen und so billig, wie nur Arbeitslose sie bezahlen können? Eine Renaissance als 30-Millionen-Euro-Operette.

Sex für Text und Bimbes*) von der BA

John Fuegi ist Professor für Deutsche und Slavische Literatur an der US-Universität in Maryland und Gründer der Internationalen Brecht-Gesellschaft. In der 1994 erschienen Biographie über den Dramatiker "The Life and Lies of Bertolt Brecht" enthüllt  Literatur-Professor Fuegi erstmals die lange unerkannte Strategie des Dramatikers und bringt die wirklichen Urheber der Brecht-Werke ans Tageslicht: "Nach den Werken von Shakespeare stehen die unter Brechts Namen veröffentlichten Theaterstücke im Wettbewerb der Publikumskunst mit den Werken von Tschechow und Molière an vorderster Stelle bei der Anzahl der weltweiten Aufführungen. Es war - wie wir alle wissen - die "Dreigroschen-Oper" die erstmals Brechts Name in der Vorstellungskraft der Öffentlichkeit etablierte. Es scheint nun über jeden Zweifel erhaben zu sein, dass mindestens 80% dieser Oper von Elisabeth Hauptmann geschrieben wurde. Wenn sie einen solch wichtigen Anteil am berühmtesten aller Brecht-Werke hat, scheint es nur fair zu sein, die Frage nach den Urhebern der anderen zahlreichen Werke zu stellen. Falls andere den Grossteil von Brechts Werk von Weltrang schrieb, weshalb wurden Personen wie Hauptmann, Ruth Berlau, Margarete Steffin und Martin Pohl so lange versteckt und zugelassen, dass Brechts Name auf ihren Werken als Autor erscheint? - Der Millionär und geniale Literatur-Marketing-Agent Brecht sicherte sich die literarischen Quellen nach dem Schema "Sex-für-Text" - und die Geliebten Brechts, Elisabeth Hauptmann, Grete Steffin und Ruth Berlau, lieferten.

Quelle: John Fuegi "The life and lies of Bertolt Brecht", HarperCollins, 1994.

Als John Fuegi, Professor für Deutsche Literatur und Gründer der Internationalen Brecht-Gesellschaft in seiner aufsehenerregenden Biographie enthüllte, dass nahezu 80% der bekanntesten Brecht-Werke nicht von ihm sondern von seinen diversen Geliebten stammten, enthüllte sich die vermeintlich andere Seite des Dramatikers. Zum Vorschein kam Brechts Rolle als genialer Literatur-Marketeer, Millionär und Macho, der seine Liebschaften auf den einfachen Nenner "Sex for Text" (Fuegi) reduzierte. Doch Brecht war nicht der einzige, der dieses Prinzip des Kuhhandels perfektionierte.

Auch die Vorgehensweise der Bundesanstalt für Arbeit im Wettbewerb um zukünftige Marktteilnehmer am "Virtuellen Arbeitsmarkt" kommt in den Geruch des antiken Deodorant-Prinzips "Geld stinkt nicht" - doch im Getöse der jüngsten Medien-Berichterstattung über die PR-Beraterverträge, die "Anstaltsleiter Gerster" (Spiegel) abgeschlossen hat, geht dieser Hinweis fast unter.

*) "Pecunia non olet" (lateinisch: Geld stinkt nicht.  Pinke (Volksmund): "Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld, wer hat soviel Pinke Pinke wer hat soviel Geld?" Aus einem Karnevals-Schlager.  Bimbes: Pinke, Geld. Kurpfälzische Mundart, auch in Worms und Ludwigshafen-Oggersheim verständlich
 

Eine Hand soll die andere waschen:
Die Vorgehensweise der BA im Kampf um die Gewinnung von Marktteilnehmern am "Virtuellen Arbeitsmarkt" wird von Maike Rademaker und Lutz Meier in der Financial Times beschrieben: "Verleger berichten, die BA versuche auch, einzelne Verleger für eine Kooperation zu gewinnen - meist geschehe das über die Landesarbeitsämter. Im Gegenzug versprächen die Arbeitsämter, Anzeigen in den entsprechenden Zeitungen zu schalten." (Quelle: "Bundesanstalt für Arbeit startet trotz Protesten neues Jobportal - Verleger und Jobbörsen fürchten billige Konkurrenz". Financial Times Deutschland, 28. November 2003.)
"Hinter vorgehaltener Hand loben Verlagsverantwortliche das BA-Programm. Eben deshalb wird es als besonders gefährlich eingeschätzt, so die FTD weiter. Und Zeitungsverleger kennen sich im leidvollen Geschäft der  elektronischen Jobbörsen aus: Vor Jahresfrist wurde die Verlags-Gemeinschaftsgründung Versum AG, ein Webportal mit Jobbörse, Auto- und Immobilienmarkt liquidiert.

Die BA, die PR und der Virtuelle Arbeitsmarkt

Obwohl die interessierte Öffentlichkeit schon lange über die Pläne der Bundesanstalt für Arbeit und deren geplanten zentralen, allumfassenden "Virtueller Arbeitsmarkt" mit vernetzten Arbeitsmarktteilnehmern wusste, sind die markt- und wettbewerbsrelevanten Argumente erst nach und nach in die öffentliche Diskussion gekommen: Ein Pressespiegel in Auszügen.

Privatisierung der BA: 
DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun
äussert sich in der Financial Times Deutschland: "Ich glaube am besten würde der Bundesanstalt für Arbeit geholfen, wenn man sie wirklich zu dem und auf das zurückführt, was sie eigentlich ist oder ursprünglich war: eine Art Versicherungsinstrument im Falle der Arbeitslosigkeit". Im Laufe der Zeit seien der Nürnberger Bundesanstalt dann zu viele Ausgaben aufgebürdet worden. "Deshalb: Weitgehend auf die Arbeitslosenversicherung konzentrieren". Weitere Aufgaben könne die BA gegen Bezahlung übernehmen, wenn sie sich im Wettbewerb gegen andere Anbieter durchsetzt. Dabei habe die BA gute Chancen, sagte Braun. Bei vielen Mitarbeitern sei hohe Kompetenz und Kenntnis der Märkte vorhanden. "Das kann doch gar keiner abstreiten." (Quelle: DIHK fordert Rückbau der Bundesanstalt für Arbeit". von Romanus Otte. Financial Times Deutschland, 28. November 2003.)

Ignoranz des Marktumfelds:
"In weit höherem Maße als die Interessen der Beitragszahler hat Gerster bisher jedoch das Marktumfeld der Behörde ignoriert. Private Personalvermittler, Zeitarbeitsfirmen, Internet-Jobbörsen und die Tageszeitungen mit ihren Stellenmärkten schlagen angesichts seiner Versuche, in ihren Märkten zu fischen, seit längerem Alarm. Um endlich Erfolge auf dem Arbeitsmarkt vermelden zu können, scheuen er und seine Vorstandskollegen nicht, die aus Beitrags- und Steuermittel finanzierte Vormachtstellung der Bundesanstalt auf den privaten Vermittlungsmärkten auszubauen.

Dies gilt für die Personal-Service-Agenturen ebenso wie für den nächste Woche startenden virtuellen Arbeitsmarkt. Statt private Angebote zu nutzen und mit den Unternehmen Kooperationen einzugehen, baut die Bundesanstalt auf eigene Präsenz - zum Schaden der privaten Anbieter und des Wettbewerbs. Das Vermittlungsmonopol für die Bundesanstalt für Arbeit ist glücklicherweise vor einigen Jahren gefallen. Der Aufbruch in eine neue Ära der Behörde darf nicht zu einem Rückfall in diese Zeiten führen. (Quelle: Claudia Bröll: "Auf dem Schleudersitz der Republik". FAZ 28. November 2003).

Machtanspruch (1):
"Denn ob Personal-Service-Agenturen (PSA) oder der am 1. Dezember startende Virtuelle Arbeitsmarkt, kurz VAM - die BA setzt auf bisweilen gigantomanisch anmutende Allmacht und Selbermachen statt auf Kooperation. Private Zeitarbeitsfirmen, Personalvermittlungen und Internet-Jobbörsen bleiben außen vor. Beispiel VAM: Geht es nach der BA, wird hier am Ende der gesamte Stellenmarkt erfaßt, also nicht nur für Arbeitslose. "Wiedereinführung des Vermittlungsmonopols für Arbeit durch die Hintertür" klagen die privaten Internet-Jobbörsen; sie würden nicht nur nicht mit einbezogen, sondern von der BA mit ihrer geballten Finanzmacht von Beitrags- und Steuermitteln auch noch auf ihren angestammten Märkten angegriffen.

Beispiel auch die PSA. "Die PSA sollte einen neuen Markt für Zeitarbeit schaffen. Tatsächlich gehen die PSA-Vermittlungen eins zu eins von unserem Markt ab". Thomas Reitz ist Deutschland-Chef von Manpower, der Nummer vier am deutschen Zeitarbeitsmarkt, und ohnehin skeptisch, was die PSA angeht. " Der Ausschluß der Privaten - ein großer Fehler", sagt Norbert Berthold, Arbeitsmarktökonom und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministers. Effizienz ohne mehr Wettbewerb gebe es nicht. Berthold: "Ein Monopolist wird nicht von sich aus effizient, und Effizienz per bürokratischem Erlaß hat noch nie funktioniert.". (Quelle: Sonja Banze: "Florian allein im Haus". WELT am Sonntag, 30. November 2003.)

Machtanspruch (2):
Bärbel Schwertfeger setzt sich im Spiegel mit dem Erfolgsdruck der BA und dem Scheinargument des Vermittlungsanspruchs für Fach- und Führungskräfte auseinander: "Die Bundesbehörde erlebte in den letzten Monaten heftige Kritik an den Personal Service Agenturen, an Mini-Jobs und Jobfloatern. Nun braucht sie ein Erfolgerlebnis und pumpt 57 Millionen Euro in den Aufbau des "Virtuellen Arbeitsmarktes", der möglichst viele der in Deutschland offenen Stellen im Internet zugänglich machen sowie Arbeitgeber und Bewerber zusammenführen soll. Schon die Einführungskampagne wird teuer; allein für 2004 soll ein Werbebudget von 20 Millionen Euro bereitstehen. Doch die Sache hat einen Haken: Für eine wirklich umfassende Stellenbörse fehlen der BA schlicht die Jobangebote. Bisher wird nur jede dritte offene Stelle den Arbeitsämtern gemeldet. Denn viele Unternehmen sind unzufrieden mit der Qualität der Bewerber. Daher nutzen sie verschiedene Rekrutierungskanäle: Wer einen Lagerarbeiter braucht, geht meist übers Arbeitsamt. Wer dagegen Fach- und Führungskräfte sucht, nutzt eher Zeitungen oder Online-Jobbörsen.

Private Anbieter sind bei Führungskräften stärker

So haben im Internet die großen Jobbörsen längst den attraktiven Markt der Fach- und Führungskräfte besetzt. Dabei vermitteln sie keineswegs nur Arbeitslose, sondern vor allem Wechselwillige. Von den Nutzern von fünf großen Jobbörsen (Jobpilot, Monster, Stepstone, Jobscout24 und Jobware) waren im Juli nur vier Prozent ohne Job, auf der Arbeitsamt-Website waren es dreimal so viele. Zugleich nutzen leitende Angestellte und Manager die privaten Online-Jobbörsen deutlich stärker. Der Markt ist also klar aufgeteilt. Genau das will die BA nun ändern und sich ebenfalls in den gut funktionierenden Vermittlungsmarkt für Fach- und Führungskräfte drängen. "Die möchten einfach bessere Vermittlungserfolge haben als mit den Arbeitslosen, um ihr Image aufzupolieren", glaubt Frank Hensgens, Marketing-Direktor bei der Jobbörse Stepstone. "Dabei würde es viel mehr Sinn machen, sich auf ihre Kernsegmente der schwerer vermittelbaren Arbeitslosen zu konzentrieren."

Unterstützung bekommt Hensgens dabei vom zur BA gehörenden Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Das IAB hatte in einem Bericht vom Juli 2002 festgestellt, dass fast 40 Prozent der Arbeitslosen keinen Berufsabschluss haben - eine "wirksame Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit" müsse daher gerade bei dieser Problemgruppe ansetzen. (Quelle: Bärbel Schwertfeger: Zoff um Online-Jobbörsen: Die Job-Piraten vom Arbeitsamt. Spiegel vom 14. November 2003.) 

Zahlenmanipulation:
Überhaupt nimmt es die Bundesanstalt mit ihrer Argumentation und den dahinter stehenden Grössenordnungen nicht immer sehr genau. Jede medienwirksame Behauptung ist ihr höchst willkommen, obwohl die dahinter stehenden Zahlen ein anderes Bild ergeben. Beispiel 1: Heinrich Alt, Vorstand der BA, äußerte sich im Interview mit der Zeitschrift Personalwirtschaft. Frage: Warum will die BA jetzt auch verstärkt wechselwillige Fach- und Führungskräfte vermitteln, statt sich vor allem um die Arbeitslosen zu kümmern? Alt: Im Gesetz steht, dass wir Unternehmen mit Bewerbern zu versorgen und Arbeitnehmern Stellen anzubieten haben. Auch die Vermittlung von Fach- und Führungskräften ist daher unser gesetzlicher Auftrag. Dieses Marktsegment haben wir auch bisher schon mitbearbeitet. Zudem betreiben wir Online-Börsen für Managementvermittlung, für Ingenieure und für IT-Fachkräfte. Also auch hier tun wir nichts Neues". (Quelle: Bärbel Schwertfeger: Virtueller Arbeitsmarkt - Die Bulldozer-Strategie. Personalwirtschaft 10/2003)

Die Realität sieht etwas differenzierter aus. Die BA-Vermittlungsbörse für IT-Fachkräfte lieferte am 30. November interessante Stellenangebote. Für die Tätigkeit "Webdesigner" hatte die BA gerade mal ein einziges Stellenangebot zur Verfügung, für einen "Programmierer" sah es dann mit insgesamt 4 (vier) Stellenangeboten schon hoffnungsvoller aus. Stellenangebote für Projektleiter oder User Support? Fehlanzeige - leider keine Angebote gefunden.

Die vom BA betriebene Fachbörse für Ingenieure stellt sich diesen Herausforderungen erst gar nicht - denn sie enthält kein einziges Stellenangebot, sondern führt nur Stellengesuche auf. Ohne Stellenangebote sind die stellensuchenden Ingenieure eben nur schwer zu vermitteln und der gerne zitierte gesetzliche Vermittlungsauftrag blieb eben bei der Konzeption der BA-Ingenieur-Jobbörse auf der Strecke.

Auf der Jobbörse "Managementvermittlung" verzeichnet die BA für den gesamten Postleitzahlbereich 10000 (Berlin / Brandenburg) gerade mal 15 Stellenangebote, die private Jobbörse Jobware bietet in diesem Bereich das dreifache an, Stepstone kommt auf das vierfache, und jobpilot untermauert ihre Marktposition in diesem Segment gar mit dem 11fachen Angebot. Doch die schlauen Nürnberger der BA lassen sich dabei nicht gerne in die Karten schauen, vorsorglich erscheint der Hinweis auf ihrer Suchabfrage: "Es sind nicht alle Stellenangebote online!"

Und auch an der Publicity-Front müssen die Fakten in den Hintergrund treten, wenn es die medienträchtige Berichterstattung nur stören würde: Die breite Öffentlichkeit wurde mit vollmundigen Ankündigungen über die neuen Teilnehmer am Virtuellen Arbeitsmarkt informiert und der renommierte Konzern DEGUSSA wurde als neuer Teilnehmer hochgelobt - jetzt könnten die offenen Stellen bei DEGUSSA auch über den Virtuellen Arbeitsmarkt besetzt werden. Die Wirklichkeit sieht allerdings eher mau aus: Auf der eigenen Firmenhomepage bietet die DEGUSSA gerade mal zehn offene Positionen an.

Himmelsfahrtkommando: Florian Gerster braucht Unterstützung.  
Daß der Mann die Bundesanstalt für Arbeit in eine Agentur umwandelte, daß er selbst seinen Präsidentensessel gegen den eines Vorstandsvorsitzenden austauschte, daß er externe Unternehmensberater in die Behörde holte, wurde lange Zeit als purer Etikettenschwindel kleingeredet. Dabei wird genau an diesem angeblichen Skandal (um die 1,3 Millionen Euro für einen Kommunikationsberater) deutlich, wie ernst es Florian Gerster mit seinen Reformen des Arbeitsamts nimmt. Eine Behörde mit 90.000 Beschäftigen, mächtigen Beschaffungsstellen und einem einer Gegenregierung gleichkommenden Verwaltungsrat zu reformieren, ist ein Himmelsfahrtskommando. Gerster muss keine Sympathien gewinnen, sondern ein über Jahrzehnte gewachsenes Monstrum den modernen Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen. Dieser, seit dem Vermittlungsskandal aus dem Jahr 2002, von allen unterstützte Auftrag, braucht breite Unterstützung. Die Kritiker tun sich im Augenblick leicht - vor dem Hintergrund von Gersters Herausforderung zu leicht. (Quelle: Ulrich Porwollik: Himmelfahrtskommando. WELT am SONNTAG 30. November 2003).

Die Eilbedürftigkeit bei der Vertragsvergabe:
"Der renommierte Europarechtler Torsten Stein, Leiter des Europainstituts der Universität des Saarlandes, zu BamS: "Es gibt im gesamten öffentlichen Bereich keine Eilentscheidung bei der Vergabe von Aufträgen." Nur in Notfällen wie Naturkatastrophen seien Eilvergaben vorstellbar: "Wenn Sie bei einem Dammbruch an der Elbe Sandsäcke brauchen, können Sie auf eine Ausschreibung verzichten." War die angebliche "Eilbedürftigkeit" nur ein Vorwand, um Schiphorst und niemanden sonst zu verpflichten? So deuten mehrere Abgeordnete eine Aussage von Gerster am Freitag im Bundestag. Es hätte doch bereits vorher eine Skandalisierung des Geschehens" gegeben, falls er den hoch dotierten Beratervertrag ausgeschrieben hätte, sagte Gerster dort nach Angaben mehrer Zuhörer." (Quelle: Ulrich Deuptmann und Bernhard Kellner: "Sagen Sie die Wahrheit, Herr Gerster!" in Bild am Sonntag, 30. November 2003.)

Wie die Gewerkschaften von Gersters sauberen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen profitieren.
"Die Hartz-Kommission hat der deutschen Arbeitsverwaltung eine neue Kosmetik verpaßt. Das Staatsunternehmen soll so angemalt werden, als ob es ein privates Unternehmen wäre. Gerster muß das umsetzten: "Zielvereinbarungen für Mitarbeiter", "erfolgsorientierter Einsatz" oder "modulare Qualifizierung" heißen die Worthülsen. Gerster hat die Sprache gelernt, welche ihm für rund 60 Millionen Eure jene externen Berater (McKinsey, Roland Berger) eingeflüstert haben, die in der Hartz-Kommission das ganze Konzept geschäftsfördernd erfunden haben. Doch die Institution selbst wird nicht reformiert. "Schröder hat zwar mit Gerster den besten Mann auf seine wichtigste Baustelle geschickt. Aber dort wurde er sogleich einbetoniert, sagt Arbeitsmarktexperte Niebel.
Und Betonarbeiter gibt es in der Anstalt nicht wenige: Die meisten finden sich in einem Gremium, das schönfärberisch Selbstverwaltung heißt und so etwas wie ein Aufsichtsrat sein soll. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Herrschaft der Verbände: Der dreiköpfige Vorstand der Anstalt wird überwacht von einem Verwaltungsrat, der drittelparitätisch aus Gewerkschaftern, Arbeitgeberfunktionären und Regierungsvertretern zusammengesetzt ist. Ursula Engelen-Kefer zum Beispiel hat hier seit 1978 ununterbrochen Sitz und Stimme für den DGB. Der Ex-Chef der Deutschen Angestellten Gewerkschaft, Roland Issen, gehört dem Gremium seit 1980 an.

Dieser Verwaltungsrat hat die Macht über die Verteilung der Mittel. Und bedient dabei vor allem die eigene Klientel. Denn von der sogenannten aktiven Arbeitsmarktpolitik, all den vielen "Maßnahmen" der Fort- und Weiterbildung, profitieren die Bildungswerke der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände am meisten.

Das ist eine grandiose Arbeitslosenindustrie, die aus nachvollziehbaren Gründen am Abbau der Arbeitslosigkeit wenig Interesse hat. Dann hätte sie schließlich auch keine "Kunden" mehr. Immerhin 13.5 Milliarden Euro gibt die Anstalt 2003 für "Ermessensleistungen" (darunter fällt im Amtsdeutsch auch die Fort- und Weiterbildung) aus. Zählt man 8,5 Milliarden Euro "sonstige Leistungen hinzu, kommt ein Betrag von rund 22 Milliarden Euro des 46,5 Milliarden Etats der Bundesanstalt zusammen, der nicht für die Auszahlung von Versicherungsleistungen verwendet wird. Effizient ist das Weiterbildungsgeschäft nicht, wie die Wirtschaftsforschungsinstitute beklagen. Die Mißerfolgsquote der Weiterbilder - also der Prozentsatz derer, die trotz Fortbildung keine Arbeit finden - liegt im Schnitt bei über 60 Prozent." (Quelle: Rainer Hank: Gersters saubere Geschäfte. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 30. November 2003).

Mit Wachstumsraten, wie sie in den zurückliegenden 25 Jahren in Deutschland, Europa und weiten Teilen der Welt erzielt worden seien, könnten, so wird geklagt, die Arbeitslosigkeit nicht überwunden, die Völker nicht regiert und die Demokratie nicht gewährleistet werden. Die Bedingungen des dritten Jahrhundertquartals sind zum ehernen Maßstab für Erfolg oder Mißerfolg geworden. Insbesondere die Deutschen ergehen sich gern in solchen Betrachtungen und sehen den wirtschaftlichen Niedergang des Landes zum Greifen nahe. "Vorsprung durch Panik", spotten die Briten. Den Deutschen aber ist es bitterernst. Nur ändern wollen sie nichts. Jedenfalls nicht wirklich. Dazu haben sie sich im Bestehenden viel zu behaglich eingerichtet.

Meinhard Miegel: Die deformierte Gesellschaft. Wie die Deutschen ihre Wirklichkeit verdrängen. 2002.

Über den Streit zwischen Gerster und Engelen-Kefer:
"Union und FDP versuchen aus der Werbeetat-Affäre möglichst viel politisches Kapital zu schlagen, obwohl sie den Kurs des BA-Chefs dem Grunde nach stützen. Doch Gersters Ausweichmanöver, seine beharrliche Weigerung, Fakten offenzulegen, und die verhaltene Rückendeckung durch Rot-Grün müssen die Opposition geradezu in ihrem Eifer bestärken, jeder Unregelmäßigkeit nachzugehen. Doch er sieht sich nicht als Täter, sondern als Opfer all jener Kräfte, die den von ihm eingeleiteten Reformprozeß behindern wollen.

Seine Verschwörungstheorie hat einen Adressaten: die Gewerkschaften. "Es gibt politische Kräfte, denen die Reformvorschläge des Florian Gerster, die sich zum Teil in der Agenda 2010 wiederfinden, zu weit gehen", deutet er an, ohne Namen zu nennen. Wer eins und eins zusammenzählt, ahnt, wen Gerster meint: den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), insbesondere dessen stellvertretende Vorsitzende Engelen-Kefer.

Deren Beziehung zu dem Nürnberger Behördenchef ist von tiefem Mißtrauen geprägt, von einem "Unverhältnis", berichten Eingeweihte. Die Hauptverdächtige Engelen-Kefer ist unterdessen auf Tauchstation. Engelen-Kefer ist kaum eine Äußerung zu entlocken. Sie geht damals (im Jagoda-Vermittlungsskandal) wie heute in Deckung. Ob Gerster das Vertrauen des Verwaltungsrates besitze, will sie vor laufenden Kameras nicht sagen. "Ich glaube, Sie haben genug von mir gehört", beschied sie den Journalisten.

Ihre Forderung, die Sachlage müsse "vorbehaltlos aufgeklärt werden", richtet sich immer nur an die anderen. Auf den Gedanken, daß sie als Vorsitzende des Kontrollgremiums ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt hat, kommt sie nicht. Es könne nicht jeder "rumlaufen" und Statistiken überprüfen, erklärte sie damals nach dem Vermittlungsskandal. Diesmal klingt es nicht anders: "Herr Gerster hat diese Entscheidung getroffen. Da haben wir auch überhaupt keinen Einblick. Wir kennen auch die Verträge nicht", sagt sie am 23. November im Fernsehen. "Da können wir auch keinerlei Verantwortung übernehmen". (Quelle: Nico Fickinger: Der Feldherr und die Teflon-Frau. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. November 2003.)

Die Krake "Arbeitslosenindustrie":
Nach der Affäre um die Werbeaufträge der Bundesanstalt für Arbeit für die PR-Firma WMP Eurocom, in deren Vorstand auch der Bundestagsabgeordnete und Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexroth (FDP) sitzt, geraten jetzt Politiker selbst finanziell ins Zwielicht. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International (TI) warnt, dass Parlamentsabgeordnete durch lukrative Nebentätigkeiten in schwer wiegende Interessenkonflikte geraten können.

Teilweise werde in Deutschland "das Fünf- bis Zehnfache vom Abgeordneten-Gehalt hinzuverdient", kritisierte die Deutschland-Geschäftsführerin von TI, Dagmar Schröder. Sie befürchtet laut "Berliner Zeitung" Korruption, wenn Parlamentarier ohne Einschränkung dazuverdienen dürften. Die Öffentlichkeit müsse erfahren, "wo Politiker von der Industrie beeinflusst werden könnten". In fast allen europäischen Ländern würden strengere Maßstäbe angelegt.

Nur in Österreich und Liechtenstein dürften Volksvertreter so frei Nebentätigkeiten ausüben wie in Deutschland. Der Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach (CSU), ein selbständiger Unternehmer, forderte gegenüber WELT am SONNTAG radikale Konsequenzen. "Hoch bezahlte hauptamtliche Funktionäre gehören nicht in den Bundestag und schon gar nicht in die fachlich zuständigen Bundestagsausschüsse".

Zu den Abgeordneten mit besonders zahlreichen Zusatzjobs gehören, so die "Berliner Zeitung", außer Rexrodt auch Friedrich Merz (CDU), Christine Scheel (Grüne), Wolfgang Bötsch (CSU) und Fritz Schösser (SPD). Rexrodt sitze in zehn Unternehmensbeiräten. Er rechtfertigte sich: "Wenn Politiker im Leben stehen, ist das doch gut". Die Finanzexpertin der Grünen, Scheel, erklärte, sie nutze Nebentätigkeiten in Firmenbeiräten, um Informationen beispielsweise über die Finanzbranche zu gewinnen.
(Quelle: Politiker mit satten Nebenjobs. WELT am SONNTAG, 30. November 2003).

Befangenheit im Nebenjob:
Die PR-Affäre um den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, hat nun doch zu einem Rücktritt geführt. Doch es ist nicht Gerster, der sich von seinem Amt trennt. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, Rainer Wend, hat mit sofortiger Wirkung sein Aufsichtsratsamt beim Berliner PR-Dienstleister WMP Eurocom niedergelegt. "Ich will nicht den Anschein erwecken, in meinem politischen Handeln als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit nicht mehr völlig frei und unabhängig zu sein", sagte Wend dazu in einer Erklärung.

Der Hintergrund: Gerster soll am Freitag dem Bundestagsausschuss Rede und Antwort stehen, wie es zur umstrittenen millionenschweren Auftragsvergabe der Bundesanstalt an den Berliner Medienberater Bernd Schiphorst kam. Der Auftrag war nicht öffentlich ausgeschrieben worden. Pikant: Schiphorst arbeitet im Vorstand eben jener WMP, in der Wend bislang als Aufsichtsrat fungierte. Ein Interessenkonflikt schien so vorprogrammiert: Wie kann Wend Gerster im Sinne des parlamentarischen Auftrags kritisch befragen, ohne die Interessen von WMP zu tangieren? Auch wenn Wend inzwischen seine Demission aus dem Aufsichtsrat wegen Befangenheit bekannt gab, bleibt verwunderlich, warum dies erst nach Medienberichten über seine WMP-Aufsichtsratstätigkeit geschah. (Quelle: Gerster-Affäre: Der Kontrolleur zieht zurück tagesschau.de)

Die Kontrolle der BA: Zahnloser Tiger:
Die Arbeitgeber fordern eine "echte Selbstverwaltung", in der die Vertreter der Beitragszahler deutlich mehr Einfluß im Vergleich zur Regierung und mehr Kontrollmöglichkeiten hätten. Der Verwaltungsrat wird zwar öffentlich als Aufsichtsrat der BA wahrgenommen, hat aber nicht so weitreichende Befugnisse.

Kritiker bezeichnen ihn als zahnlosen Tiger am Gängelband der Regierung. Nach dem Gesetzestext soll der Verwaltungsrat als Vertreter der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften darüber wachen, daß die BA die Beitragsmittel sinnvoll und sparsam ausgibt. Dazu kann er vom Vorstand jederzeit Auskünfte über die Geschäftsführung verlangen und Prüfungen durch die Innenrevision oder durch externe Prüfer fordern. Weigert sich der Vorstand, kann er ihn indes nicht zwingen, sondern nur den Arbeitsminister anrufen. Er kann den Vorstand auch nicht selbst absetzen, sondern wiederum nur den Arbeitsminister anrufen. (Quelle: "Debatte um Aufsicht über die Bundesanstalt für Arbeit entbrannt. Arbeitsmarktfachmann fordert Auflösung des Verwaltungsrats. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Dezember 2003.)

Wann kommt Revolutionär John Reed nach Nürnberg?

John Reed (*1939): eher Kapitalist als Revolutionär.
Foto: Gotham Gazette

Die New Yorker Börse (NYSE) schlitterte vor wenigen Monaten von einem Skandal in den anderen. Ein öffentlicher Aufschrei ob der horrenden Gehälter des Vorsitzenden der New York Stock Exchange Grasso war zu vernehmen. Der Aufsichtsrat der NYSE, der letztlich von Grasso selbst kontrolliert wurde, hatte sein Jahresgehalt in Höhe von 187,5 Millionen US-Dollar genehmigt. Dann allerdings reagierte die NYSE konsequent auf diese Art "Raubtierkapitalismus".

Sie holte den ehemaligen Citicorp-Vorstandsvorsitzenden John Reed aus dem Ruhestand und der begann sogleich, mit der "Abrißbirne" die verkrusteten Strukturen des Verwaltungsrats der NYSE einzureißen.

Er verkleinerte das Aufsichtsgremium, in dem im wesentlichen die Interessenvertreter der Wertpapierbranche sich selbst beaufsichtigten und setzte durch, daß mehr unabhängige Aufsichtsräte einbezogen wurden.

John Reed (1887-1920) eher Revolutionär als Kapitalist.

Seine Vorschläge wurden von der Wertpapierbörse angenommen, seither liegen sie jedoch vor der Securities and Exchange Commission zur Genehmigung. Als "Saubermann" ging er mit gutem Beispiel voran: Sein Jahressalär als Sanierer beträgt ein Dollar. John Reed, der sich selbst als "Revolutionär" (in einem Interview mit der Financial Times London) bezeichnete, ist mit dieser Einschätzung über sicht selbst allerdings etwas zu weit gegangen.

Schon eher trifft dies auf den US-Journalisten gleichen Namens zu, der 1917 die Erstürmung des Winterpalais in St. Petersburg und die Wirren der Oktober-Revolution in Moskau als Augenzeuge hautnah erlebte. Er schilderte seine Eindrücke in dem Roman "Zehn Tage, die die Welt erschütterten". Dieser Roman beeindruckte die russischen Revolutionäre, Lenin selbst schrieb das Vorwort dazu. Nach John Reeds Tod 1920 wurde er zum Zeichen der für Amerikaner eher seltenen Ehre eines Grabes an der Kreml-Mauer zuteil. Trotzdem entdeckte Hollywood die Werke und Biographie des Kriegsberichterstatters und Gründer der Kommunistischen Partei von Amerika und verfilmte die mit mehreren Oscars ausgezeichnete Lebensgeschichte.

Epilog

Als US-Literatur-Professor John Fuegi die geheimen Machenschaften des Dramatikers Bertolt Brecht um die wirklichen Urheber seiner Texte aufdeckte, mußte er seine Recherchen auf Archiv-Material beschränken, denn alle handelnden Personen waren da schon längst verstorben.

Wer auch immer den Filz im Dunstkreis der Arbeitslosenindustrie aufdecken will, hat unendlich bessere Voraussetzungen: Alle Beteiligten sind aktiv in Amt und Würden und könnten auch Auskunft geben, so es die breite Öffentlichkeit überhaupt wirklich interessiert. Daß die Seifenoper um die BA - im Gegensatz zu Bertolt Brecht - es aber auf die Spielpläne der Theater-Bühnen bringt, ist eher unwahrscheinlich.